Louwrens Langevoort: Die Situation ist tieftraurig für uns als Philharmonie. Wir haben unglaublich tolle Konzerte mit einem begeisterten Publikum erlebt. Und jetzt dürfen wir solche Konzerte nicht mehr anbieten, das ist frustrierend. Man fragt sich auch nach der Verhältnismäßigkeit, denn in einem Konzertsaal ist die Infektionsrate wegen der großen Distanzen eher gering. Anderseits kann man auch die Regierung verstehen, die um die Gesundheit der Bürger und die Überlastung des Gesundheitssytems besorgt ist. Die Deutschen müssen sich daran gewöhnen, abends zu Hause zu bleiben. Wir nutzen die Zeit jetzt, um Orchestern unseren Saal für Proben oder Aufnahmen zu Verfügung zu stellen. Das sind viele Ensembles, die sonst nicht in die Philharmonie kommen könnten. So haben wir eine Sozialisierung unserer Räumlichkeiten.
Corona „Die aktuelle Situation ist tieftraurig für uns als Philharmonie“
Wie erleben Sie gerade die Situation im zweiten Lockdown?
Wie hat sich das Leben in ihrer unmittelbaren Umgebung in der Innenstadt entwickelt?
Langevoort: Die Straßen in der Altstadt sind ziemlich leer. Tagsüber ist zumindest in den Einkaufsstraßen noch etwas los, aber das ist kein Vergleich zum Vorjahr und auch nicht zu den vorangegangenen Monaten. Abends wird die Innenstadt dann komplett zur Geisterstadt.
Welche Folgen hat die erneute Schließung für die Philharmonie?
Langevoort: Da haben wir, was die Veranstaltungen mit Publikum angeht, einen Leerstand, was natürlich auch wirtschaftliche Folgen hat, weil wir so keine Einnahmen aus den Eintrittsgeldern haben. Aber die Stadt fängt uns da zum Glück finanziell auf, sodass wir in dieser Zeit eher weich fallen. Was frustriert ist natürlich, dass die gesamten Planungen für die Zeit jetzt komplett umsonst waren. Man weiß nicht, wann wir wieder öffnen können. Bleibt alles noch bis Ende Dezember zu oder auch noch in den ersten Monaten des neuen Jahres? Trotzdem müssen wir immer bereit sein, um direkt, wenn es wieder möglich ist, die Philharmonie wiederzueröffnen.
Wie fällt die Bilanz der Monate vor dem zweiten Lockdown aus?
Langevoort: Das war eine sehr euphorische Zeit für uns. Es war ein tolles Gefühl, wieder Konzerte mit Publikum im Haus zu haben. Die Menschen waren total begeistert und haben sich überwiegend auch sicher im Saal gefühlt. Sie konnten endlich wieder in Ruhe live Musik genießen, auch wenn diese anders war als vor der Krise. Wir hatten Kammermusik mit kleinen Orchestern. Es war das stillste Publikum, das ich je erlebt haben, da hat keiner auch nur gehustet. Schön war auch, dass der Kontakt – natürlich mit dem gebotenen Abstand – zwischen Künstlern und dem Publikum wieder möglich war. Es war außerdem auch wichtig, den Künstlern wieder eine Plattform für ihre Musik zu geben. Was gefehlt hat, waren die sozialen Kontakte in den Pausen. Was man deutlich gesehen hat, war das Bedürfnis der Menschen, sich mit Kunst und Musik auseinanderzusetzen. Das ist die Basis unserer Gesellschaft.
Wie schwer ist es, für das kommende Jahr zu planen?
Langevoort: Wir planen normalerweise zwei bis drei Jahre im Voraus. So stand im März schon das Programm für die gesamte Spielzeit 2020/21 sowie für den Beginn der Spielzeit 2021/22 fest. Jetzt haben wir eine neue Flexibilität, die uns zwingt, von Tag zu Tag zu planen. Ob man diese haben möchte, ist eine andere Frage.
Wie ist das Feedback der Künstler?
Langevoort: Wir haben zwei Arten von Künstlern. Die einen sind bei einem vom Staat oder der Kommune subventionierten Orchester festangestellt. Dort gibt es natürlich Frust, weil es nur sehr beschränkte Auftrittsmöglichkeiten in zahlenmäßig reduzierten Orchestern gibt. Bei den freiberuflichen Künstlern ist die Situation dramatischer. Die haben es jetzt wahnsinnig schwer. Da müssen in unserer Gesellschaft neue Regelungen für den Umgang mit diesen Leuten gefunden werden. Das kann eine Arbeitslosenversicherung wie in Frankreich sein oder auch garantierte Fördergelder von Stadt, Land oder Bund.
Inwieweit hat sich Ihr beruflicher Alltag jetzt verändert?
Langevoort: Der hat sich nicht verändert. Ich bin weiter im Büro und schaue jeden Tag, was sich geändert hat und, was wir jetzt wieder neu planen müssen. Da ist viel Flexibilität gefragt. Weniger Arbeit ist es auf jeden Fall nicht.
Wie sind die Aussichten für die Kultur nach der Pandemie?
Langevoort: Wenn diese nicht allzu lange andauert, sind die Aussichten gut, dass sich der Zuspruch wieder auf die Zeit vor der Krise einpegelt. Es wird sicher weniger Dienstreisen geben und die Bedeutung der Videokonferenzen wird zunehmen. Allerdings ist ein Konzert etwas, das man im Saal live erleben muss. Streaming ist eine wunderbare Notlösung, aber es bleibt nur ein schlechter Ersatz für die direkte Begegnung von Publikum und Künstlern im Saal. Es ist auch wichtig, dass die Politik den Leuten die Angst nimmt, sodass die bereit sind, wieder zu uns zurückkommen.
Welche Rolle spielen jetzt digitale Angebote?
Langevoort: Wir haben direkt schon das letzte Konzert vor dem Lockdown am 1. November live gestreamt. Jetzt haben wir jede Woche Streamingangebote mit den verschiedenen Orchestern, die gerade bei uns in der Philharmonie sind. Ich freue mich, dass wir das als Philharmonie so schnell hinbekommen haben.
Was macht Ihnen derzeit die größten Sorgen und, was die größten Hoffnungen?
Langevoort: Sorgen macht mir die Frage, wie sich die Pandemie auf die öffentlichen Finanzen auswirkt. Gibt es nach dem Ende der Krise noch Geld für Fördermittel im kulturellen Bereich? Meine Hoffnung ist, dass alles in absehbarer Zeit vorbeigeht und dass wir uns so schnell wieder neu aufstellen können. Ich hoffe auch, dass unser Publikum bald wieder zurückkehrt und dass Künstler gestärkt und nicht geschwächt aus der Krise kommen.