Wie kam es dazu, dass Long Distance Calling zur instrumentalen Rockband wurde?
Interview Ein Soundtrack für die Corona-Zeit
Köln · Mit „How Do We Want To Live“ ist die Münsteraner Band Long Distance Calling gerade an den Start gegangen. Am 5. März 2021 kommt sie zum Konzert ins E-Werk nach Köln. Sie gilt als die international erfolgreichste instrumentale Rockband in Deutschland.
Wir sprachen im Vorfeld mit Schlagzeuger Janosch Rathmer.
Janosch Rathmer: Das war eigentlich so nicht geplant. Zu Beginn hatten wir erfolglos nach einem Sänger gesucht und dann erkannt, dass es auch ohne Gesang klappt. Das ist gut angekommen und wir haben uns damit wohlgefühlt. Es gab immer wieder Gastsänger, was aber live nicht funktioniert hat und was bei den Leuten nicht so gut angenommen worden ist. So hatten wir unser Vorgängeralbum komplett instrumental eingespielt, das hat uns viele Türen geöffnet. Beim aktuellen Album ging es uns darum, eine Botschaft zu haben und eine Geschichte zu erzählen. Deshalb haben wir mit Sprachsamples gearbeitet und Sänger Eric A. Pulverich von der Band Kyles Tones bei einem Song einen Gastsänger dazugeholt.
Wie hat die Corona-Krise die Arbeit am Album beeinflusst?
Rathmer: Der Titel und Songs standen schon vorher fest und wir hatten alles schon aufgenommen. Dann kam der Lockdown und unser Produzent Arne Neurand hat sich mit dem Material für vier Wochen in Quarantäne begeben, um alles fertig zu machen. Die Videos haben wir im Nachgang produziert. Das waren extreme Bedingungen und wir mussten viel improvisieren. Aber trotzdem ist etwas Großartiges entstanden, weil alle eine tolle Arbeit geleistet haben.
Die Ideen für die Songs sind lange vor Corona entstanden, trotzdem ist das Album wie ein Soundtrack zu dieser schwierigen Zeit geworden.
Rathmer: Es geht um das Zusammenleben der Menschen und darum, wie künstliche Intelligenz und Elektronik sich in unser Leben integriert. Das ist jetzt mit Bewegungs-Apps, GPS-Scannern, Robotern die Krankenhäuser desinfizieren oder mit den automatischen Temperaturmessungen bei Besuchern schon sehr weit vorangeschritten. Gerade Staaten, die ihr Volk rigoros Tag und Nacht überwachen, beherrschen die Pandemie vergleichsweise gut. Deutschland hinkt da bei der Digitalisierung noch etwas hinterher. Auch Social Media ist ein großes Thema, wenn man sieht, wie unüberlegt und naiv Menschen dort ihre Daten weitergeben. Das sind für uns wichtige gesellschaftspolitische Fragen, da werden jetzt Weichen für die Zukunft gestellt.
Wie wird sich unsere Gesellschaft durch die Krise verändern?
Rathmer: Ich habe immer noch die Hoffnung, dass man jetzt einige Sachen neu überdenkt und versucht, die Krise als eine Chance zu nutzen. Aber ich weiß nicht, wie utopisch so etwas ist. Das werden wir wohl erst in zwei oder drei Jahren sehen. Wenn jetzt die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie mehr Aufmerksamkeit erhalten, nutzt das nur dann etwas, wenn wir daraus lernen, was ich aber eher bezweifele. Manche Dinge wie die Rassismusdebatte, die jetzt in der Krise hochkochen, gibt es schon immer. Aber durch die gute Vernetzung der Menschen rücken sie jetzt in den Fokus. Wir sollten uns bewusst sein, dass es Rassismus nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt gibt. Ich finde es traurig, dass man 2020 noch über die Hautfarbe oder die sexuelle Orientierung diskutiert. Auch die Klimadebatte ist nicht weg, nur weil man jetzt in der Krisenzeit weniger fliegt. Da muss man jetzt an den notwendigen Stellschrauben drehen, um nachhaltig etwas zu verändern. Aber auch da bin ich nicht optimistisch.
Wie haben Sie die Texte für die Vocal Samples ausgewählt?
Rathmer: Es gibt verschiedene Quellen wie Bücher und Filme. Wir haben Texte gesucht, die zu unserer Botschaft passen. Danach haben wir die passenden Sprecher gesucht und das Ganze dann neu im Studio eingesprochen. Beim Gastsänger war es ein Zufall, wir hatten ursprünglich mit einem anderen Sänger geplant, der uns absagen musste. Durch unseren Produzenten sind wir zu Eric gekommen, von dessen Stimme wir sofort fasziniert waren.
Ihre Tour mussten Sie vom Herbst 2020 auf das Frühjahr 2021 verschieben.
Rathmer: Eigentlich hatten wir die Tour für den September geplant, dann mussten wir alles verschieben. Für uns ist das tragisch, da wir gerne schon in diesem Jahr die neuen Songs live mit unserem Publikum geteilt hätten. Die Krise bedeutet für uns in diesem Jahr mit dem neuen Album einen großen Einbruch. Die Politik fängt diese schwierige Situation für Künstler und Veranstalter nicht wirklich auf. Da rettet man lieber die Lufthansa und die Autoindustrie. Als Künstler fühlt man sich dagegen alleine gelassen. Dabei ist der Veranstaltungsbereich der zweitgrößte Wirtschaftsbereich in Deutschland. Jetzt hoffen wir, dass wir im Frühjahr spielen können, wirklich sicher ist das aber nicht. Diese Ungewissheit macht uns zu schaffen.
Sie kommen am 5. März ins Kölner E-Werk. Welche Beziehung haben Sie zur Stadt?
Rathmer: Köln ist für uns bei den Touren immer eine besondere Station, auch weil wir hier die besten Verkaufszahlen haben. Die Stadt hat ein sehr großes Einzugsgebiet, das weiß ich, weil ich als Münsteraner auch schon bei Konzerten in Köln war. Die Auftritte in dieser Stadt sind für uns immer größer geworden, das E-Werk ist für uns daher jetzt ein weiterer wichtiger Schritt.
www.longdistancecalling.de