Theater: Auf der Bühne in eine andere Rolle
Geistig Behinderte unter anderem aus Burscheid proben eine Aufführung des Dickens-Werks „A christmas carol“.
Burscheid. "Ich bin schon ein bisschen aufgeregt." Der große Tag auf der Bühne in der Kattwinkelschen Fabrik ist für Siegfried Link zwar erst am 28. November, doch schon jetzt probt er ehrgeizig seinen Text für die Aufführung von "A christmas carol" nach dem Roman von Charles Dickens.
Der 60-jährige Mime, der das Heilpädagogische Zentrum in Hilgen besucht, spielt an seinem großen Tag die Rolle des Geistes der vergangenen Weihnacht und den "Tiny Tim" - einen Jungen, dessen Beine von eisernen Schienen gestützt werden.
Auch Siegfried Link muss sich auf einen Rollator stützen, um sich fortzubewegen. Während der kleine Junge in dem Stück geheilt wird, bleibt Link auf die Gehhilfe angewiesen. Doch für etwa eine Stunde Dauer des Theaterstücks lebt er seinen Traum. "Ich wollte schon immer mal auf der Bühne stehen und in eine andere Rolle schlüpfen", erklärt er und freut sich jetzt schon "auf den Applaus".
Unter der Schirmherrschaft der Heilpädagogischen Hilfen des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR HPH-Netz Ost) proben Link und weitere zehn Mimen aus Wermelskirchen, Leichlingen und Burscheid das Dickens-Stück. Regie führt Bardia Rousta. Der Schauspieler und Katt-Mitarbeiter hat bereits bei einem Projekt des Sozialdienstes Katholischer Männer in Solingen bewiesen, dass Behinderte eine gute Figur auf der Bühne abgeben können.
Rainer Rave, Teamleiter im Heilpädagogischen Zentrum Burscheid, hat den Theaterpädagogen in Solingen erlebt und war restlos begeistert: "Fantastisch, wie Rousta aus dem Ensemble versteckte Potenziale herausgeholt hat." Die Fortsetzung erfolgt derzeit in Wermelskirchen.
Seit Anfang des Jahres büffeln die Wermelskirchener Michael Neumann, Frank Weigand und Heinz-Willi Ingenwerth, die Leichlinger Jens Ahlefeld, Halil Akdemir, Beatrix Amerding, Christian Büche und Klaus Kramer sowie die Burscheider Friedhelm Kissing, Corina Freitag und Siegfried Link eifrig ihre Manuskripte.
Am 28. November feiert die Geschichte von dem hartherzigen Unternehmer, dessen Sache Weihnachten und Mitgefühl nicht sind, Premiere in der Katt-Fabrik. Bis dahin, ist sich Rousta sicher, wird die einstündige Aufführung rund sein. Aus Solingen weiß Rave: "Es ging mit den Proben zäh los, aber dann kam der Punch."
Texte auswendig zu lernen, sei die größte Schwierigkeit, weiß Rousta. Das gelte auch für erfahrene Schauspieler. Aber: "Unser Team macht jede Woche einen Schritt nach vorne." Immer dienstags wird von 8 bis 20 Uhr im kleinen Saal an dem sozialen Rührstück gefeilt.
"Mir nötigt es einen Heidenrespekt ab, dass sich Behinderte nach der Arbeit noch dazu aufraffen", meint Rousta. Alle elf Schauspieler sind in der Werkstatt Lebenshilfe beschäftigt und fast alle führen in eigenen Wohnungen ein selbstbestimmtes Leben.
Der Schritt zur Kreativität ist freilich ein großer. Enorm wichtig sei er allemal, wie Rainer Rave und seine Kollegin Bettina Schmitz finden. Allein, um ein hartnäckiges Klischee zu korrigieren. Denn oft werden geistig Behinderte mitleidig abgetan und mit kindischen Fähigkeiten assoziiert. Für den Regisseur ist das Unfug: "Es gibt nichts, was sie nicht können."
Christian Büche, der den Scrooge spielt, geht in der Rolle des stinkreichen Bösewichts auf. Für den 27-jährigen Leichlinger ist es eine Möglichkeit, die "Wut aus meinem Bauch rauszulassen".