Verena Bentele im Porträt: Das blinde Vertrauen ist zurück
Der sehbehinderte Paralympics-Star Verena Bentele über seine Karriere und einen herben Schicksalsschlag.
Burscheid. Es ist Januar 2009: Bei den nordischen Deutschen Meisterschaften der körperbehinderten Sportler in Nesselwang kämpft sich Verena Bentele über die zwölf Kilometer lange Langlauf-Distanz. Sie saust eine Abfahrt hinab. Diese bis zu 60 km/h schnelle Angelegenheit ist eigentlich Routine für die mehrfache Paralympics-Siegerin.
Doch dieses Mal kommt es anders. Bentele erhält von ihrem Begleitläufer, der stets vor der sehbinderten Sportlerin herfährt, die Strecke sieht und ihr Kommandos zur Orientierung gibt, ein falsches Signal. Die Folgen sind fatal: Bentele kommt von der Strecke ab und stürzt ungebremst drei Meter tief auf ein trockenes Flussbett. Dabei erleidet sie Prellungen und schwere Verletzungen an der Leber und ihren Händen. Zudem reißt sie sich das Kreuzband und muss fortan ohne eine Niere leben. Statt einer weiteren Siegerehrung folgen Monate im Krankenbett. An die Stelle von Training mit Skiern und Gewehr treten intensive Reha-Maßnahmen. Die so erfolgreiche Karriere von Verena Bentele steht auf der Kippe.
Heute, etwa 26 Monate, fünf paraolympische Goldmedaillen und einige Auszeichnungen später, tritt die seit Geburt blinde Ausnahmeathletin wieder topfit und zufrieden auf. Bei der Auftaktveranstaltung der neuen Vortragsreihe des „Institutes für Leistungsoptimierung in Management und Sport“ (ILO) im Gesundheitsforum auf Gut Landscheid spricht die 29-Jährige über ihre Karriere, beantwortet geduldig die Fragen der rund 50 Gäste und sorgt mit ihrer unkomplizierten Art für einige Lacher.
„Bitte fragen Sie während meines Vortrags einfach drauflos, Handzeichen sehe ich nicht so gut“, sagt Bentele zur Einführung und lächelt. Eine Behinderung zu haben, sei gar nicht so schlimm: „Im Gegensatz zu manch anderen Menschen weiß man wenigstens, aus welchem Grund man nicht normal ist.“
Tief beeindruckt von der Selbstverständlichkeit, mit der die Wahl-Münchenerin mit ihrer Behinderung umgeht, zeigt sich Kurt Lammert, Geschäftsführer von Gut Landscheid: „Nicht umsonst ist Verena Bentele ein Vorbild für das Credo unseres ILO-Konzeptes zur Motivation, Leistungsoptimierung und präventiven Vorsorge in Wirtschaft, Politik und Spitzensport.“
Schon als Kind wurde Bentele, die sich vorwiegend durch ihr Gehör und einen Blindenstock orientiert, von ihren Eltern zum Skilaufen mitgenommen. „Sie sind rückwärts vor uns hergefahren und haben uns diesen Sport beigebracht. So ist früh meine Leidenschaft entstanden und bei zwei Brüdern musste ich mich auch in anderen Bereichen oft durchschlagen“, erzählt sie. Ihre Eltern waren es auch, die sie zeitlebens förderten und unterstützten. So baute sich Bentele nach und nach ein professionelles Umfeld auf, in das neben Mannschaftsmitgliedern und Trainern auch Familie und Freunde eingebunden sind.
Neben den vielen schönen Momenten wie der ersten Nominierung für die Nationalmannschaft 1995 („Da bin ich seit dem Anfang allein unter Männern“) oder ihrer ersten Goldmedaille bei der EM in Sibirien hat Bentele vor allem ihr tragischer Unfall geprägt: „Das blinde Vertrauen zum Begleitläufer, elementarer Grundstein für meinen Sport, war damals zerstört.“ Einen Groll hegt sie aber gegen niemanden: „Mir ist bewusst, dass ich beim Sport ein Risiko eingehe.“
Doch selbst nachdem der Paralympics-Star einen neuen Begleiter gefunden hatte, war es fraglich, ob sie wieder das für spitzensportliche Höchstleistungen unverzichtbare bedingungslose Vertrauen würde aufbauen können. Aber mit der Genesung kam die Motivation zurück. Bentele erarbeitete sich Stück für Stück ihre Fitness, durch psychologische Beratung besiegte sie Angst und Skepsis. „Wie bei anderen Menschen mit Schicksalsschlägen war es für mich wichtig, ein klares Ziel vor Augen zu haben. Das gibt Antrieb.“
Zu ihrem neuen Begleitläufer hat sie längst wieder grenzenloses Vertrauen gefasst. Mit ihrem „wichtigsten Sinnersatz“ hat sie es bei den Paralympics in Vancouver 2010 unverhofft schnell wieder in die Erfolgsspur geschafft. Und mit den Paralympics 2014 in Sotschy hat Verena Bentele das nächste Ziel bereits fest im Blick.