Geschichte(n) mit Rheinblick Diskussion über das Thema Heimat
Düsseldorf · Mithu Sanyal und der Islamwissenschaftler Bülent Uçar diskutieren über Heimat.
Was ist Identität, und welche Rolle spielt Heimat in diesem Zusammenhang? Fragen, die am Mittwochabend zum Abschluss der Gesprächsreihe „Geschichte(n) mit Rheinblick“ zur Diskussion standen. In der Lounge des Behrensbaus am Mannesmannufer suchten die Autorin Mithu Sanyal und Bülent Uçar, Direktor des bundesweit ersten Islamkollegs, nach Antworten.
Sanyal, aufgewachsen in Oberbilk, erzählte, wie häufig sie als Halb-Inderin bezeichnet wird, weil ihr Vater in Bengalen geboren ist. „Wie kann man etwas nur halb sein?“, fragte die Kulturwissenschaftlerin. Irgendwie habe sich außerdem festgesetzt, dass sie eine Muslima sei.
„Meine Mutter ist katholisch, mein Vater Hindu“, stellte sie klar. Dem sei wohl nichts hinzuzufügen. Bülent Uçars Kindheitserfahrungen waren ganz andere: „Auf der erzkonservativen katholischen Schule, die ich besucht habe, waren wir nur zwei Schüler mit türkischen Eltern.“ Als es darum ging, ob er in eine höhere Schule wechseln könnte, empfahl sein Lehrer, ihn besser auf der Hauptschule zu lassen: „Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater ein Gastarbeiter, der unbedingt wollte, dass ich aufs Gymnasium gehe“. Der Sohn sollte es einmal besser haben, und so diskutierte Herr Uçar mit Bülents Lehrer, bis man sich auf die Realschule als Kompromiss einigen konnte. „In den 90ern war es oft so, dass Kinder aus Arbeiterfamilien schon von vornherein nicht für ein Gymnasium empfohlen wurden“, bilanzierte er. Waren es lange die Sprache und das Aussehen, sei heute immer öfter die Religion ein Identitätsfaktor.
Sanyal sieht sich vor
allem als „Oberbilkerin“
In ihrem Roman „Identitti“ spielt Sanyal durch, wie vielfältig Identität ausgelebt und -gelegt werden kann: „Der Begriff ist viel zu komplex, um darauf allgemeingültige Antworten geben zu können.“ Leichter fiel es der Autorin und dem Professor, Heimat zu definieren. Sanyal sieht sich vor allem als „Oberbilkerin“. Uçar, der von sich sagt, er sei ein Nomade, der gern und viel reist, gab zu: „Ich komme doch immer wieder gerne nach Hause.“ Dieses Zuhause liegt derzeit im Ruhrgebiet.
Beide waren sich einig, dass die allgegenwärtige, oft hitzig geführte Diskussion darüber, was Identität ist, zu welcher Gruppe man sich zählt oder eben nicht, Ausgrenzung fördert. Würde man anerkennen, dass es um subjektive Wahrnehmungen geht und jedes Individuum die Summe verschiedenster Einflüsse ist, wäre manches wohl leichter.
Von ihren Lebensläufen schlugen die beiden den Bogen zu NRW, das wie kaum ein anderes Bundesland durch seine Zuwanderer-Geschichte für viele zur Heimat geworden ist. „Sie haben ihren Teil dazu beigetragen, dass die noch vor 30 Jahren recht homogene Gesellschaft immer vielfältiger und bunter wird“, zog Uçar eine positive Bilanz.