Eröffnungspremiere im Jungen Schauspiel Faust auf der Suche nach Work-Life-Balance
Düsseldorf · In Düsseldorf ist das Stück in einer Erweiterung als Trilogie zu sehen. Der Klassiker hat in der Neufassung so ziemlich alles, was man sich von einem jungen Theater erhoffen kann.
Diese Premiere hatte ein kurioses Zeitmanagement. Mit „Faust 1+2+3“ eröffnete das Junge Schauspiel seine neue Spielzeit. Das Titelfoto auf dem Programmheft zeigt einen jungen Mann in blauem Wams. Etwas überrascht, vielleicht auch ratlos, blickt er nach oben zu den Sternen. In den Händen hält er ein kleines Heftchen. Wer dabei an die Reclamausgabe des größten Dramas deutscher Sprache denkt, liegt richtig.
In der jugendfrischen Fassung des Goethe-Stücks – erstellt und auf die Bühne gebracht von Felix Krakau – werden noch vier weitere Figuren auftreten. Zusammen werden die fünf den „Faust“ spielen, nicht nur den allseits bekannten ersten Teil, sondern auch den zweiten und einen selbst erfundenen dritten gleich dazu. Das Ganze soll in anderthalb Stunden ablaufen, doch als es nach 80 Minuten aus dem Kerker heißt „Sie ist gerichtet“ und dann „Ist gerettet“, fragt man sich, was jetzt noch kommen könnte. Aber der Reihe nach.
Zunächst einmal gibt es, ganz wie im Original, ein „Vorspiel auf dem Theater“ und sogar einen „Prolog im Himmel“. Jede Menge Bildungszitate, bis es heißt: „Der Worte sind genug gewechselt.“ Für diese Eingangs-Episode haben sich Schülerinnen und Schüler dreier Gymnasien, eines auch aus Bocholt, in langen Proben fit gemacht. Nicht einen Moment lang sind sie „völlig lost“, wie es aber später wiederholt heißen wird. Dann öffnet sich der Vorhang einer Drehbühne, und es erscheint ein bestens gelauntes Paar (hervorragend: Leon Schamlott und Hannah Joe Huberty), das sich als Theaterdirektion zu erkennen gibt. „Es geht um alles“, heißt es von ihnen, „weil wir einen Bildungsauftrag haben.“
In diese Aufgabe passen alle Szenen von „Der Tragödie erster Teil“. Auch der Pudel, als dessen Kern sich die Schauspielerin Natalie Hanslik elegant mephistophelisch auf Menschenhöhe in die Welt schraubt. Kein Problem für die teuflisch-charmante Verführerin, den Doktor Faustus des Felix Werner-Tutschku für ein neues, abenteuerliches Leben zu gewinnen. Denn der Gelehrte ist auf der Suche nach einer Work-Life-Balance.
Und schon schubsen die Theaterdirektoren ihre Bühne für einen Wirbel aus Goethes Welten an. Raus aus dem Studierzimmer, warum nicht zunächst in Auerbachs Keller anhalten, einer angesagten Location, ein „Must-be“, da gibt es eine wilde Party. Nicht nur die Nebelmaschine dient dort als Stimmungsaufheller. Weiter geht es in die Hexenküche und dem Mischen eines Zaubertranks, einen wenig idyllischen Garten, auch zu Wald und Höhle, bis die Wanderung schließlich im „Rave“ der Walpurgisnacht kulminiert. Wenn die Goethe-Verse den schnellen Rhythmus zu behindern drohen, heißt es: „Achtung: Monolog“, der Reigen kommt zu kurzem Stillstand und nimmt dann wieder Fahrt auf. Als es dennoch zeitlich immer enger wird, hilft nur der „Zeilensprung“.
Und Gretchen? In der Gestalt von Ayla Pechtl erlebt man das Gegenbild einer dörflich geprägten Naiv-Jungfer. Selbstbewusst, zuweilen geradezu widerborstig, drückt sie der Handlung ihren Stempel auf. Im Vergleich mit dieser jungen Frau wirkt Felix Werner-Tutschku als Faust weniger gestaltend. Erst im Duell mit Gretchens Bruder Valentin (Schamlott) kann er für kurze Zeit mit Bühnendominanz punkten. Dieses Duell hat Felix Krakau als Capoeira-Tanz zwischen einem „Bücherberserker“ und einem „Elitekämpfer“ inszeniert. Die Premierenzuschauer waren vom Warm-up sofort angefixt.
Sprachlich dient sich diese Inszenierung doch sehr dem jugendlichen Jargon an. Auch wenn sich nicht wenige der angesagten Ausdrücke als treffend erweisen, erkennbar an der spontanen Reaktion des Publikums, die übermäßige Strapazierung des „F“-Worts reichert den gesprochenen Text definitiv nicht an.
Und das Zeitmanagement für die Teile zwei und drei? „Faust II“ gibt es in einem furiosen Parcours, den erfundenen Teil drei ebenfalls, getreu den Worten des Theaterdirektors beim „Vorspiel“: „So schreitet in dem engen Bretterhaus den ganzen Kreis der Schöpfung aus und wandelt mit bedächt’ger Schnelle vom Himmel in die Welt zur Hölle.“