Kunstaktion in Düsseldorf Der Roman auf dem Container
Düsseldorf · Schriftstellerin Vera Vorneweg schreibt Bertha von Suttners Roman „Die Waffen nieder“ auf einen Container – als Friedensmanifest.
Direkt neben Vera Vorneweg wird Bier verkauft, Kaffee und Limo. Aber die Autorin hat keinen Durst. Sie ist vielmehr auf eine Aufgabe konzentriert, die sie selbst als „Obsession“ beschreibt. Vorneweg möchte den kompletten Roman „Die Waffen nieder!“ der österreichischen Autorin und Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner auf den Stadtstrand-Container unterhalb der Tonhalle aufbringen. Weil sie nächste Woche ein Arbeitsstipendium in Schöppingen antreten wird, ist ihre Zeit dafür begrenzt. „Momentan bin ich jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang am Container“, sagt die Autorin. Zahllose Wörter und Buchstaben hat die 37-Jährige bereits mit Acrylstiften auf dem metallenen Untergrund notiert. Und weil das Metall gewellt ist, mutet das Ergebnis an wie ein Fluss aus Worten.
Als Schriftstellerin habe der Krieg sie sprachlos gemacht, erklärt Vorneweg: „Ich habe keine Worte für das, was in der Ukraine derzeit passiert. Ein Land und seine Menschen werden vernichtet und wir können nichts tun, außer zuzusehen und Waffen zu liefern.“ Die Tatsache lähme sie. Das literarische Schreiben sei für sie derzeit unmöglich. „Es entwickeln sich keine poetischen Gedanken mehr.“
Ein pazifistisches
Manifest gegen den Krieg
Der Lähmung hat Vorneweg trotzdem nicht nachgegeben. Vielmehr setzt sie dem Krieg in Kiew, Mariupol und Charkiw nunmehr ein pazifistisches Manifest entgegen. Der Roman „Die Waffen nieder!“ stammt aus dem Jahr 1889 und schildert die Tagebuch-Aufzeichnungen einer Soldatenfrau. Der Text sei 130 Jahre später noch genauso aktuell wie damals, findet Vorneweg: „Letztendlich sind es die gleichen Themen: Angst, Trennung, Blutvergießen, Tod.“
Die Passanten fasziniert die künstlerische Arbeit, die derzeit unweit der Oberkasseler Brücke entsteht. Immer wieder schauen sie der Frau im grauen Arbeitsoverall mit der großen Sonnenbrille über die Schulter, um das noch nicht vollendete Werk in Augenschein zu nehmen. Die Frage „Was machen Sie denn da“, sie liegt ständig in der Luft. Der Mehrzahl ihrer Gesprächspartner gefällt die Idee. Aber natürlich gibt es auch gegenteilige Meinungen à la „Putin hat doch Recht“. Das kann Vorneweg so natürlich nicht stehen lassen. „Ich bin gegen jede Form der bewaffneten Auseinandersetzung.“ Im Gegensatz zu Politikern könne sie als Schriftstellerin das so äußern, „auch auf die Gefahr hin, für naiv gehalten zu werden“.
Vera Vorneweg ist alles andere als naiv. Als sie nach Kriegsbeginn erfährt, dass der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall Geschäfte mit Russland gemacht hat, durchforstet sie „wie im Fieber“ sämtliche Pressearchive und Geschäftsberichte des Unternehmens mit Sitz in Düsseldorf. Dabei stößt sie auf eine Mitteilung zu einem Großauftrag in Russland aus dem Jahr 2011. „Ich weiß, dass wir im Kapitalismus leben und dass auch der Krieg ein Markt ist. Aber mit Menschen aus der Ukraine am Tisch zu sitzen, deren Angehörige vielleicht zu diesem Zeitpunkt mit Waffen bedroht werden, die in meiner Stadt hergestellt wurden, ist für mich inakzeptabel.“ Aus dieser Haltung heraus entsteht die Idee, künstlerisch zu reagieren. Im öffentlichen Raum. Die ehemalige Waffenfabrikationshalle in Sichtweite des Rheinmetall-Firmensitzes scheint zunächst der perfekte Ort zu sein, um den pazifistischen Text aufzubringen. Wenig überraschend wird ihre Anfrage beim Investor aber negativ beschieden. Tagelang tigert Vorneweg daraufhin auf der Suche nach einem Ort durch Düsseldorf – und stößt dabei auf die Stadtstand-Container.
Der Krieg in der Ukraine beschäftigt Vera Vorneweg nicht nur in ihrer künstlerischen Arbeit. Vor drei Wochen hat ihre Familie zwei Frauen und zwei Kinder aus Kiew bei sich aufgenommen. Mit den vier Menschen sei auch der Krieg bei ihnen eingezogen, so beschreibt es Vorneweg in einem Beitrag, den sie für den Kölner Stadtanzeiger verfasst hat: „Wie ein Damoklesschwert schwebt der mögliche Verlust eines Familienangehörigen auch über unseren Köpfen.“ Vornewegs Söhne Lasse und Jim malen jetzt Bilder von Luftangriffen und Panzern – so wie die beiden Kinder, die vor dem Krieg nach Düsseldorf geflüchtet sind. Vera Vorneweg beobachtet das mit Unbehagen.