Gut Niederheid Alltagshelden in Düsseldorf: Ein Leben auf dem Ponyhof - mit Höhen und Tiefen
Düsseldorf · Christina Tschorn lebt mit ihrem Mann und den drei Kindern auf dem Kinderbauernhof Gut Niederheid. Dabei hat die Familie mit einigen Problemen zu kämpfen.
Der Erste am Tor ist mal wieder Simba. Der Labrador steckt seine nasse Nase zwischen die Eisenstäbe und wedelt aufgeregt mit dem Schwanz. Christina Tschorn kramt nach dem Schlüsselbund, in der anderen Hand ein angebissenes Butterbrot und eine geöffnete Banane. „Einer dieser Morgende“, murmelt sie lächelnd, nimmt noch rasch einen Bissen und öffnet das quietschende Eisentor. Die drei Kinder hat sie bereits in Schule und Kita gefahren, dann Pferde, Ponys und die zwei Rinder gefüttert und auf die Weide gebracht. Jetzt ist es kurz nach neun Uhr.
2010 zog Christina Tschorn mit ihrem Mann und der ersten gemeinsamen Tochter auf den Gutshof Niederheid in Holthausen. Schon damals wurde das städtische Gelände vom Vorpächter als Kinderbauernhof und Reitstall betrieben. „Ich hatte gerade mein Studium abgeschlossen und eine Vertretungsstelle an einer Förderschule angetreten“, erinnert sich Tschorn. Die Vorstellung aber, mit ihrer Familie auf dem Gut mit Tieren und Kindern zu leben und zu arbeiten, warf alles um. „Ich war 25 und unbedarft. Mir war nicht bewusst, auf was ich mich da einlasse“, sagt sie und hält eine Sekunde inne. „Aber das ist auch gut so. Sonst hätte ich mich vermutlich nicht getraut.“
Schon damals war das Gut in einem maroden Zustand. Ganze Gebäudeteile sind bis heute nicht nutzbar. Die frühere Reithalle dient wegen des morschen Dachs mittlerweile nur noch als Futterlager. Ein Trakt mit rund 180 Quadratmeter steht komplett leer, weil die Wände verschimmelt und der Boden kaputt sind. Und in dem Gebäudeteil, in dem die Tschorns mittlerweile zu fünft wohnen, sind ganze Räume wegen Feuchtigkeit nicht bewohnbar. „Wir leben deshalb auf etwa 75 Quadratmetern“, sagt Christina Tschorn und öffnet die Tür zum Flur. Zwei große Löcher in der Decke stehen stellvertretend für den Zustand des übrigen Erdgeschosses.
In der ersten Etage befindet sich die urige Wohnküche, in der sich die Familie die meiste Zeit aufhält, der Rest der Quadratmeter verteilt sich auf das Schlafzimmer der Eltern mit angrenzendem Wohnzimmer und ein Kinderzimmer, das sich die drei Kinder teilen. „Je älter die Kinder werden, desto schwieriger wird auch das Miteinander in dem Zimmer“, sagt Tschorn. Ihre älteste Tochter Paulina ist jetzt 18, Emilia ist fünf und Nesthäkchen Antonia fast zwei. Vor allem für die Kinder hofft sie, dass bald saniert wird.
Saniert hat die Stadt am Hof bis heute noch nichts – trotz Zusage
Beim Umzug auf den Hof habe die Stadt Familie Tschorn zugesichert, das Gut zu sanieren. Doch bis zum heutigen Tag ist nichts passiert. Und das liegt an den Kosten, die für den kompletten denkmalgeschützten Gutshof auf vier bis fünf Millionen Euro geschätzt werden. 2016 hieß es sogar, der Hof würde verkauft, das Kinderparadies geschlossen. Diese Nachricht provozierte Elternprotest und lange Unterschriftenlisten. Im gleichen Jahr fand die Stadt einen privaten Investor, der komplett sanieren, den Kinderbauernhof erhalten und den Reitbetrieb weiter ausbauen möchte. „Die Gespräche sind nun so konkret, dass es dieses Jahr wohl zu einem Vertragsabschluss kommt“, sagt Tschorn. Noch im Januar habe sie mit dem Investor gesprochen, „und es scheint jetzt wirklich zu passieren“. Die 35-Jährige geht fest davon aus, dass sie mit ihrer Familie auch nach der Übernahme weiter auf dem Hof leben und arbeiten kann. „Ich soll festangestellt werden und im Grunde die gleichen Aufgaben übernehmen, die ich jetzt auch schon habe“, sagt sie. Ponyreiten, Reitstunden, das therapeutische Reiten, Kindergeburtstage – Das alles soll weiter auf dem Hof stattfinden.
Christina Tschorn guckt aus dem Fenster. Zeit für einen Kaffee bleibt normalerweise nicht, heute aber sind die Mitarbeiterin und die zwei Praktikantinnen im Stall eingespannt. Mit Schubkarre und vollem Körpereinsatz misten sie die Ställe der Ponys aus. Schon seit den frühen Morgenstunden stehen die auf der Weide und genießen die ersten warmen Sonnenstrahlen – eine Szenerie wie in einem Heimatfilm. „Ja, so kennen die meisten Eltern den Hof. Weil sie bei schönem Wetter mit ihren Kindern zum Ponyreiten vorbeikommen“, sagt sie. Aber das Leben auf dem Ponyhof, das habe viele weitere Facetten.
Eine davon betrifft das Familienleben der Tschorns. „Klar, für meine Kinder ist es toll, auf einem Kinderbauernhof mit Rindern, Hühnern, Kaninchen und Ziegen aufzuwachsen. Aber sie haben mich nie für sich. Da sind immer viele andere Kinder, die mich genauso in Anspruch nehmen“, sagt sie. Und das auch an den Wochenenden und Feiertagen, an Weihnachten und Ostern. Nachmittags, wenn gerade das geführte Ponyreiten auf dem Hof stattfindet, werden die Kinder von einer Freundin von Kindergarten und Schule abgeholt. „Ich denke oft, dass ich gerne mehr für meine eigenen Kinder da wäre. Sie werden einfach so schnell groß“, sagt sie. Ihr Mann arbeitet als Industriekaufmann in Köln und kommt abends frühestens gegen sieben Uhr nach Hause. Am Wochenende und an den Feiertagen kümmert er sich um die Kinder. „Aber Zeit komplett als Familie bleibt sehr wenig.“
Auch dass kaum Privatsphäre bleibt, empfindet Tschorn als belastend. „Es passiert wirklich, dass Eltern abends Steinchen an unsere Fensterscheibe werfen, weil sie noch eine Geburtstagsfeier buchen wollen“, sagt sie. „Dass ich abends aber auch ungestört meine Kinder baden oder ins Bett bringen will, vergessen viele dabei.“
Bis heute überwiegen aber die schönen Momente des Lebens und Arbeitens auf dem Gutshof. Wenn Christina Tschorn wieder einmal von einem Grundschüler erfährt, dass es sein allererstes Tier ist, das er da streichelt oder sie einer Gruppe Kinder erklärt, dass die Eier im Gehege tatsächlich von den Hühnern und nicht aus dem Supermarkt stammen, weiß sie, warum ihre Arbeit auf dem Kinderbauernhof so wichtig ist.
Und selbst über die Tatsache, dass es Eltern gibt, die sich beim Ansturm aufs Ponyreiten am Sonntagnachmittag vor den Augen der Kinder prügeln, kann Christina Tschorn mittlerweile hinwegesehen. „Ich sehe dann nur die Kinder, die eine schöne Zeit erleben wollen und versuche solche Szenen nicht an mich herankommen zu lassen.“