Geschäftsaufgabe Andreas Weigelts „Ticket Kautz“: Das Ende einer klassischen Kartenvorverkaufsstelle

Düsseldorf · Ab Ende Februar ist der traditionsreiche Ticket-Shop Kautz am Ernst-Reuter-Platz Geschichte. Inhaber Andreas Weigelt hat sich einen neuen Job gesucht.

Andreas Weigelt in seinem Ticket Shop am Ernst-Reuter-Platz. Ende Februar schließt er den Laden.

Foto: Schaller,Bernd (bs)

Der jung gebliebene 62-jährige Andreas Weigelt ist ein echter Düsseldorfer Jong: Geboren in Rath, wohnhaft in Benrath, tätig mitten im Zentrum. Nach einem Studium (Deutsch, Geschichte) und langjähriger Tätigkeit als Werbetexter übernahm er 2005 den Ticket-Shop Kautz vom namensspendenden Gründer dieser klassischsten aller heimischen Vorverkaufsstellen. Mit diesem Schritt machte der Rock- und Kabarett-Fan sein Hobby zum Beruf. „Ein Jahr zuvor habe ich noch selbst in der mehreren Hundert Meter langen Schlange vor dem Laden angestanden“, sagt der immer noch eifrige Konzertgänger schmunzelnd. Sein lang gehegter Traum ging in Erfüllung. Und so fühlte er sich anfangs wie ein Kind allein im Spielzeugladen. Andi im Schlaraffenland. „Natürlich war ich zunächst mein bester Kunde. Aber eigentlich habe ich diesen Schritt gemacht, um Geld zu verdienen“, sagt Weigelt.

Am alten Geschäft änderte er bis heute rein gar nichts. Und so wirkt dieser Ort wie aus der Zeit gefallen, antimodern, archetypisch, entrückt. Vom Interieur bis hin zum Chef selbst. Die zu Zeiten des Vorbesitzers aus dem Qualm von einer Milliarde Zigaretten („Erst kürzlich kam noch ein Kunde rein und fragte, ob man hier noch rauchen dürfte.“), Drucker-Ruß und dem Bratfett tausender Frikadellen, die der „alte Kautz“ oft in der kleinen Küche brutzelte, kreierte Patina klebt noch in allen Poren. Das Prunkstück befindet sich hinter dem Tresen: Eine etwa fünf Meter breite Wand, die komplett mit originalen Konzertkarten der letzten 40 Jahre tapeziert wurde. Eine Installation mit großen Aha- und Erinnerungseffekten. Frisch und neu sind dagegen die aktuellen Poster an den dunkelbraunen Korkwänden, die kostenlosen Konzertzeitschriften, Programme und Flyer, die im Wesentlichen den 20 Quadratmeter großen Kundenbereich ausfüllen – und natürlich die notwendige Hardware für den Ticketdruck.

Die seligen Zeiten, in denen das Kerngeschäft des Ticketings im Handel mit Rock- und Popkonzert-Karten bestand, waren allerdings schnell vorbei. Spätestens nach der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise vertickten immer mehr Top-Acts mit eigenen Online-Systemen ihre Eintrittskarten selber. So hatten sie die Einnahmen sicherer und schneller auf ihren Konten, obendrein steckten sie noch die VVK-Gebühren in die eigene Tasche. „Keine Ahnung, ob Campino das nicht weiß oder es ihm egal ist, aber ich habe aus einschlägigen Quellen gehört, dass die Hosen-Website mittels der neuen Bot-Programme sehr leicht zu knacken ist. Ich beobachte immer wieder, dass die in unglaublicher Geschwindigkeit verkauften Karten, nicht einmal eine halbe Stunde später zu überhöhten Preisen bei Ebay angeboten werden.“

Das Ticketgeschäft ist im Lauf der Zeit immer schwieriger geworden

Zu den Selbstvermarktern kamen die Pre-Sales und Sonderaktionen der großen Mobilfunkanbieter, die viel Geld investierten, um sich mit Show-Größen zu schmücken. Als Gegenleistung überließen Stars wie U2 denen den Kartenverkauf. Auch andere Konzerne üben sich im Quereinstieg. „Der bisherige negative Höhepunkt dieser Entwicklung war der exklusive Verkauf der Fanta 4-Tournee von Aldi, mit vierfarbigen Karten, die kostenfrei zugestellt wurden.“

Den Markt der unter 35-Jährigen habe er schon lange verloren, resümiert Weigelt emotionslos. Er blickt hinaus auf den Ernst-Reuter-Platz mit Tita Gieses Bambus-Installation. Resigniert hat er nie. Um über die Runden zu kommen, erweiterte er sein Portfolio um Musicals, Brauchtums- und Sportveranstaltungen. Er kümmerte sich auch um die kleineren Veranstalter. „Es gibt immer noch Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht online bestellen, Original-Karten haben oder eben auch beraten werden wollen.“ Letztere wären aber nur eine verschwindend kleine Minderheit. „90 Prozent der Kundschaft weiß schon vorher genau, was sie haben will.“ Und die scheint noch ausreichend vorhanden zu sein. Das Telefon mit der leicht zu merkenden Nummer klingelt jedenfalls unablässig und schon kurz nach Ladenöffnung trudeln bereits die ersten Kunden ein, die allerdings allesamt der 10 -Prozent-Minorität anzugehören scheinen.

„Ich hätte gerne Karten für die Karnevalssitzung in Köln, da wo die Toten Hosen spielen“, kommt als Begrüßungsspruch. Es entspinnt sich ein launiger Nerd-Plausch über „Feiern im Regen“, der neuen Single von Düsseldorfs Nationalheiligen, deren treuer Anhänger der Shop-Besitzer ist. Weigelt wiegelt ab, verweist auf die tolle Version von „Hier kommt Alex“ bei „Inas Nacht“. Das Gespräch kreist weiter um ausverkaufte und schlecht laufende Konzerte sowie die nächste Creamcheese-Party im Malkasten, einer etwas anderen Art von Ü-60-Tanztee. Nach vielen Minuten kommt der Herr dann doch zur Sache und ordert Tickets für einen Familienausflug zum Cirque du Soleil. Gemeinsam wird am Computer-Bildschirm nach geeigneten Plätzen gesucht. Ruhig berät Weigelt, wägt Vor- und Nachteile ab. Weitere zehn Minuten später gibt der offensichtlich glückliche Stammkunde dem nächsten Besucher die Klinke in die Hand. Ein englischsprechender Tourist erkundigt sich nach empfehlenswerten Wochenend-Events in Düsseldorf. Doch weder das spärliche Konzert- noch das Comedy-Angebot konvenierte mit seinem Geschmack. In fast lupenreinem Oxford-English erklärt ihm Weigelt, dass man Tickets für das Fortuna-Bayern-Spiel nur noch am Stadion erwerben könne. Außer freundlicher Beratung nichts gewesen.

Weigelt hatte erst überlegt, in den Ruhestand zu gehen

Als ihm sein Vermieter die Kündigung aussprach liebäugelte Andreas Weigelt nach 14 Jahren Selbstständigkeit schon mit dem Ruhestand. Doch dann überlegte er es sich noch einmal anders und bewarb sich bei Daniel Seidel, einem ebenfalls musikbegeistertem Unternehmer mit diversen Zeitschriften-Lotto-Tabakläden in der Stadt, die unter dem Namen Hollmann firmieren. In dessen Dependancen in den Schadow Arkaden und der Heinrich-Heine-Galerie (einst Heinersdorff) betreibt er bereits eigene Vorverkaufsstellen. Ab März 2020 soll dann der nette Herr Weigelt das Team in der HH-Galerie mit seiner Fachkenntnis und Kundenfreundlichkeit ergänzen. Wer ein letztes Mal das Oldschool-Kleinod am Ernst-Reuter-Platz erleben will, sollte sich also sputen. Ab Ende Februar schweigt der Kautz für immer.

Weigelts Weihnachtsgeschenk-Empfehlungen für die Konzertsaison 2020: „Doros Akustikkonzert im Haus der Jugend ist natürlich ein Pflichttermin. Aber auch das gemeinsame Veteranentreffen von Wishbone Ash, Nazareth und Uriah Heep steht in seinem Terminkalender ebenso rot angestrichen wie die niederländische Beatles-Coverband Analogues, die seit Jahren vermeintlich unspielbare Alben der Fab Four auf die Bühne bringen, diesmal ist es das Trennungsalbum Abbey Road“.