Kolumne Der Düsseldorf-Köln-Entfernungsfaktencheck

Düsseldorf · Düssel-Flaneur Wo zwischen Köln und Düsseldorf 4,6 Kilometer liegen, wie man Köln in 26 Fahrradminuten erreicht und wann beide Städte eine gemeinsame Grenze hatten.

Die Personenfähre Piwpipper Böötchen verbindet Monheim und Dormagen und ist Teil der schnellsten Düsseldorf-Köln-Fahrradtour. 

Foto: Sebastian Brück

Samstagmorgens. Wir: auf den Fahrrädern. Vor uns: vier Pöller. Dahinter: ein asphaltiertes Sträßchen und ein Feld. „Noch ein paar Meter, und dann sind wir auf dem Holzweg“, sagt mein bester Freund P. Diesen Holzweg gibt es wirklich, er gehört zu Monheim, und er grenzt unmittelbar an Hellerhof. Hellerhof, das ist der südlichste Stadtteil Düsseldorfs – und unser heutiger Startpunkt. Noch befinden wir uns also auf Düsseldorfer Boden. Genauer gesagt: in der Kleingartenanlage Am Alten Rhein 1987.

Auf zur endgültigen Startposition. Rechts abbiegen, dann parallel zum Schrebergartengelände etwa hundert Meter bis zur nächsten Ecke. Dort macht mein Begleiter ein Foto des Holzweg-Straßenschilds und zeigt dabei auf das dahinterliegende Gebüsch. Wir stehen in Monheim-Baumberg, das Gebüsch liegt in Düsseldorf. Der südlichste Punkt der Stadt, versteckt im Unterholz des Hellerhofer Kleingartenvereins.

Es geht los. P., der die Radtour geplant und großspurig mehrere Überraschungen versprochen hat, tippt eine Adresse in den Navi: An der Römerziegelei 1. Ich: „Nie gehört.“ Er: „Kölns nördlichste Straße. 26 Minuten Fahrzeit!“ Ich: „Du musst die Berechnung von Auto auf Fahrrad umstellen.“ Er, verschwörerisch grinsend: „26 Fahr-rad-minuten von hier bis Köln, in normalem Tempo.“ Ich, Fragezeichen im Gesicht: „Das kann nicht sein! So lange braucht man mit dem Auto von Bilk bis Ehrenfeld – aber nur, wenn die A57 frei ist.“

Ob mein rennradfahrender Freund mich veräppeln will? In weniger als einer halben Fahrradfahrstunde von Düsseldorfer Boden aus Kölner Boden erreichen – wenn so etwas möglich wäre, dann wüsste man das doch. Oder? Die Uhr läuft. Wir radeln durch Baumberg, bleiben auf dem Holzweg. Es gibt Reihenhäuser mit Vorgarten, es gibt Hochhäuser mit Balkongeranien, und dann gibt es eine kleine Einkaufszone mit Zahnarzt, Apotheke, Fahrschule und Pizzeria. Dort biegen wir in die Geschwister-Scholl-Straße ein, und vier oder fünf Kreisverkehre später verlassen wir Baumberg und erreichen Monheim und die Rheinuferpromenade. Eine Aussichtsplattform mit Design-Sitzbänken kommt in Sicht. Für einen Sekundenbruchteil meine ich Immendorfs Affenstatue aus dem ehemaligen Monkey’s Island zu erkennen. Vermutlich, weil wir eben am Monberg vorbeigefahren sind, dem Beachclub der Kreisverkehrsmetropole. Wir halten an, machen Fotos und nehmen eine Erkenntnis mit: Bei dem Kunstwerk handelt es sich zwar nicht um eine Immendorf-, wohl aber um eine Lüpertz-Plastik: 2019 enthüllt zeigt sie das Wahrzeichen der Stadt Monheim – die Gänseliesel – kombiniert mit einer von der griechischen Mythologie inspirierten Skulptur. Hier weht in jedem Fall der Wind der Düsseldorfer Kunstakademie. „Monheims Freiheitsstatue“, sagt P. Und dann fahren wir schon an der nächsten Kunst-Sensation vorbei: dem Monheimer Geysir, platziert (wo sonst?) in der Mitte eines weiteren Kreisverkehrs. Dessen erster Fontänen-Orgasmus lässt auf sich warten, denn noch ist er eine Baustelle. Die Boulevardpresse nennt ihn schon jetzt den „Gaga-Geysir“.

„Düsseldorf oder Island?“, frage ich, während wir weiter die Uferpromenade entlangfahren – und auf Höhe der Marienkapelle antwortet mein bester Freund mit einer Geste: Er deutet auf den Fähranleger, zu dem eine Rad- und Fußgängerbrücke hinunterführt, und sagt: „Köln!“

In Monheim wird Kölsch und Alt ausgeschenkt. Vom 1. Januar 1975 bis zum 1. Juli 1976 gehörte die Stadt zu Düsseldorf.

Foto: Sebastian Brück

Wir begeben uns also zur Personenfähre Piwipper Böötchen, begrüßt von einem Schild mit der Aufschrift „Auf Wiedersehen an der Promenade des Neanderlands“, und dann bezahlen wir pro Person inklusive Fahrrad zwei Euro. Die kleine Fähre bringt uns mitsamt Fahrrädern auf Kurs. Von der rechten Rheinseite auf die linke Rheinseite, von Monheim nach Dormagen. „Vergiss nicht zu erwähnen, dass das Böötchen nur von März bis Oktober und nur an Wochenenden und Feiertagen aktiv ist“, sagt P. Mit einem Blick auf den Navi zieht er Zwischenbilanz: 11 Minuten und 3,2 Kilometer seien wir jetzt unterwegs, hätten also rund die Hälfte des Weges geschafft.

Ich bin sehr schlecht in Mathe, dennoch drängt sich mir eine Frage auf: „Braucht man weniger als sieben Kilometer, um von Düsseldorf aus Köln zu erreichen?“

P. grinst, P. sagt „circa 6,7“, und dann haut P. zusätzlich die kürzeste Luftlinien-Entfernung zwischen Düsseldorf und Köln raus, die er über Google Maps ausgerechnet hat und die natürlich noch kürzer ist: Sie verläuft vom zweitsüdlichsten Punkt Düsseldorfs, der Grenze Urdenbachs zu Baumberg, direkt am Rhein bis zum nördlichsten Punkt Kölns, den wir gleich erreichen werden – und beträgt etwa 4,6 Kilometer. Mein Begleiter registriert meine Überraschung mit Genugtuung und legt – eitel wie er ist – mit überregionalem Klugscheißer-Wissen nach: „Der südlichste Punkt von NRW liegt südlicher als der nördlichste Punkt von Bayern.“

Als wir die Fähre verlassen und am einladenden Landgasthaus Piwipp vorbei unseren Radweg fortsetzen, leider ohne Stopp im Biergarten, verkündet P.: „Noch drei Kilometer und zehn Minuten bis Köln.“

Es folgt der schönste Teil der Tour: Auf dem langgezogenen Deich schwingt sich der Radweg gemächlich in die Kurve. Felder und Wiesen, einige wenige, dafür sehr hohe Bäume, Rheinblick. Schließlich eine leichte Anhöhe, der Weg endet an der B9. Eine Ampel-Kreuzung. Lastwagen rattern vorbei. Sofort ist klar: Das war’s erst mal mit der Natur, hier beginnt der Chempark von Bayer. Er liegt zum Teil auf Kölner, zum Teil auf Dormagener Gebiet, und die noch zu Köln gehörende „Grenz-Straße“ An der Römerziegelei führt am Haupteingang des TSV Dormagen entlang zum Werkstor. Wir steigen ab, warten auf „grün“. Ein Blick auf Google Maps offenbart: Die aus Köln-Worringen kommende B9 ändert ab dieser Kreuzung ihren Namen von Neusser Landstraße in Kölner Straße. Auf der anderen Straßenseite angekommen, vor einem Radregionrheinland-Schild, verkündet P. gespielt feierlich: „Du hast soeben Kölner Boden betreten.“ Der Navi steht tatsächlich bei 26 Minuten, wie angekündigt. Genau wie der südlichste Punkt Düsseldorfs ist auch der nördlichste Punkt Kölns unsichtbar. Er liegt nur wenige Schritte von uns entfernt, auf der linken Seite der B9 im Straßenrandgras. Schräg gegenüber verkündet in Fahrtrichtung Dormagen ein Schild das Ende von Köln und den Beginn des Rhein-Kreis-Neuss. Faktencheck abgeschlossen, Mission erfüllt? Nicht ganz, denn P. verspricht, noch ein weiteres Köln-Düsseldorf-Geheimnis zu lüften, und vermutlich meint er das ein bisschen ironisch, aber auch ein bisschen ernst. Wir folgen der B9 parallel zum Rhein flussaufwärts, von Köln-Worringen bis Köln-Langel. Immer, wenn wir einen freien Blick auf das andere Rheinufer ergattern, sagt P., ich solle genau hinsehen, es gehe um etwas Historisches. Um Köln und um Düsseldorf, und nein, es habe nichts mit der Schlacht bei Worringen aus dem Jahr 1288 zu tun.

Der Reiterhof Gut Blee in Monheim mit Blick auf die zu Köln gehörenden Rheinauen Worringen-Langel am anderen Ufer.

Foto: Sebastian Brück

In Langel setzen wir mit der Autofähre nach Leverkusen-Hitdorf über, radeln anschließend mit dem Strom am Rhein entlang. Am Reiterhof Gut Blee, der schon wieder auf Monheimer Gebiet liegt, stoppen wir und setzen uns auf eine Bank mit Aussicht. Pferde rennen über eine Wiese, dahinter Frachtschiffe auf dem Weg Richtung Köln oder Richtung Düsseldorf, und am rechten Blickrand sind am anderen Ufer die eben besuchten Chempark-Türme zu erkennen.

P. skizziert eine Zeitreise: Ich solle mir vorstellen, es sei nicht Juni 2020, sondern Juni 1975. Dann nämlich säßen wir gerade auf Düsseldorfer Stadtgebiet, und die Mitte des Rheins – er zeigt auf den Fluss – sei die Grenze zu Köln. Zwischen den Rheinkilometern 707 und 711, wo der Fluss heute Monheim und Köln trennt, sei Mitte der Siebziger die Grenze zwischen Düsseldorf und Köln gewesen. Weil Monheim für anderthalb Jahre nach Düsseldorf eingemeindet gewesen sei. Dieses Monheim sei schon phänomenal: Nirgendwo außerhalb von Düsseldorf und Köln gebe es so viele Düsseldorf-Köln-Verbindungen wie in Monheim. Die Kölsch-Alt-Grenze verlaufe ebenso durch die Stadt wie der Helau-Alaaf-Äquator. Und wer sonst könne mit vier Kilometern ehemaliger Köln-Düsseldorf-Grenze aufwarten? Als ich gerade „Oh, das wusste ich gar nicht“ sagen möchte (was teilweise gelogen wäre), fährt ein Schiff der Linie Köln-Düsseldorfer vorbei, und auf dem Deck sind eindeutig die Kölner Oberbürgermeisterin und der Düsseldorfer Oberbürgermeister zu sehen. Der Abstand zwischen den beiden beträgt ungefähr 1,5 Meter. Henriette Reker trinkt Altbier und Thomas Geisel trinkt Kölsch, und offenbar verhandeln sie gerade darüber, wie Düsseldorf und Köln sich gegenseitig eingemeinden – als rheinische Antwort auf die Metropole Ruhr. Nur auf den Namen für die neue Megacity können sich die beiden nicht einigen. „Bitte dichte in der Kolumne nichts dazu“, unterbricht mein vertrauenswürdiger Freund P. das Spektakel. „Das soll eine Art Faktencheck werden, da muss alles stimmen.“ Ich nicke. „Auch nicht am Schluss“, mahnt P. „Keine möchtegern-kreativen Phantasien.“ „Faken, Fakten, Fakten“, sage ich. Und dann fällt mir auf, dass das Schiff eigentlich viel zu weit weg ist, um Gesichter oder gar Biersorten zu erkennen.

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