Der letzte Zeuge des Hitler-Attentats

Kurt Salterberg war mit 21 Jahren als Wachsoldat beim Attentat dabei. Damals war er froh, dass Hitler überlebte. Heute sieht er das anders.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Düsseldorf. Er war 21 Jahre alt. Ein junger Mann, dem ein „Schäm dich“ des Vorgesetzten mehr weh tut, als jede Strafe. Ein strammer Soldat. Am 20. Juli steht er an seinem Wachposten — wie an vielen Tagen zuvor. Es ist ein heißer Tag. Die Fenster der Baracke, die er bewacht — die, in der Adolf Hitler und andere führende Kräfte des Regimes ihre Lagebesprechung durchführen — stehen weit offen. Dann gibt es einen ohrenbetäubenden Knall.

Kurt Salterberg erinnert sich noch gut an den Sommer 1944. Durch Zufall kam es, dass er an der Wolfsschanze im Einsatz war. 1923 geboren und seit dem neunten Lebensjahr in der Hitlerjugend, meldete er sich mit 17 freiwillig zum Militärdienst. „Fast alle haben das damals gemacht“, sagt der 94-Jährige. Nach einem langen Einsatz an vorderster Front in Russland, wurde im Oktober 1943 unerwartet ein Soldat in seiner Division ausgewählt, um versetzt zu werden. Es traf ihn.

Ohne zu wissen, was ihn dort erwartet, wurde er in die Kaserne in der Nähe des damaligen Rastenburg im heutigen Polen versetzt. Später ging es dann mit 24 weiteren Soldaten, als kleine Gruppe in „die Anlage“, wie sie das Führerhauptquartier nannten. Während sie dort anfangs nur „normalen Kasernendienst“ machten, wurde irgendwann hoher Besuch angekündigt. Hitler habe kommen wollen, um sich die Bauarbeiten auf der Anlage anzusehen. Ohne genauere Einführung seien er und seine Kollegen zum Wachdienst abgestellt worden. „Wir waren dort nur Wehrmachtssoldaten — dort war keine SS“, sagt er und will so mit der Falschinformation, die durch viele Filme transportiert würden, aufräumen. Hitler sei nur spärlich bewacht worden — nicht bis an die Zähne bewaffnet, wie das oft vermittelt werde.

Dort stand er also auch am 20. Juli 1944 als er am Dienstag im Gerhart-Hauptmann-Haus von seinen Erlebnissen berichtet. Seinen Stahlhelm und seine Maschinenpistole hatte er über den Zaun gehängt. Dann kam eine Gruppe Offiziere. Unter ihnen Wilhelm Keitel. „Wir hatten die Anweisung, niemanden zu kontrollieren, der zu Keitel gehörte“, erinnert sich Salterberg. Schließlich war der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Also ließ er die Gruppe durch — nur einer fiel ihm dabei besonders auf: Ein Mann mit Augenklappe, Claus Schenk Graf von Stauffenberg.

Der war es auch, der kurz später wieder herauskam — und vom jungen Soldaten kontrolliert wurde. Dann der Knall. „Es war Zufall, dass an diesem Tag Fenster und Türen geöffnet waren. Sonst hätte der Sprengsatz wohl mehr Wirkung gehabt“, sagt Salterberg. Er selbst tat nach dem Attentat, was seine Aufgabe war. Er meldete die Explosion und rief Rettungskräfte. Mehrere Personen seien nach und nach aus dem Gebäude gestolpert. Erst nach knapp zehn Minuten auch Hitler. Er sei erleichtert gewesen, dass „der Führer“ überlebt hatte, habe er doch garnicht gewusst, was das für ein Mensch gewesen sei. „Wie ich ihn kannte, dachte ich oft: Einen besseren Vorgesetzten kann man sich nicht wünschen“, sagt der 94-Jährige. Über Befehle und Gräueltaten des Regimes habe er erst später erfahren — so erinnert er sich zumindest. Als sich Stauffenberg als Täter herausstellte, hätten sie als Soldaten untereinander ihn noch als Feigling bezeichnet. „Eine Bombe zu legen statt Hitler einfach zu erschießen — das fanden wir damals feige“, sagt er. Salterberg sei noch am Abend verhört worden. Ansonsten hatte sich seine Anwesenheit beim Attentat nie negativ auf seine Karriere ausgewirkt — im Gegenteil, wie er sagt.

Lange habe er über die Zeit nicht sprechen wollen. Erst Mitte der Achtzigerjahre habe er sich überwinden können. „Ich will die Wahrheit über diese Geschehnisse erzählen“, sagt er. Zu viel werde falsch transportiert. Und da kommt in ihm auf gewisse Weise noch der alte, stramme Soldat durch. Denn es geht ihm um die Wahrheit. Die wahre Wahrheit — um Uniformen und die Art der Soldaten, um die Konstellation vor Ort. Eine politische Botschaft hat er hingegen nicht. Angesprochen auf die aktuelle politische Lage und Entwicklung sagt er: „Ich bin 94 Jahre alt. Politik interessiert mich nicht.“