Stadt-Teilchen Die Beton-Minions an der Bilker Allee
Düsseldorf · Unser Kolumnist macht sich Gedanken über den Sinn von überdimensionierten Mühle-Steinen im Düsseldorfer Stadtbild.
Im Großstadtleben trifft man häufiger auf den gelebten Widerspruch. Ich denke da zum Beispiel an Menschen, die in der Stadt wohnen, weil sie die Nähe zu anderen Menschen suchen, sich aber gerne mal beschweren, wenn diese anderen ihnen zu nahe kommen und nach 22 Uhr ungehörige Geräusche erzeugen. Die Kneipe soll gleich um die Ecke sein, doch die Menschen, die dort einkehren, sollen beim Heimkehren keinerlei Geräusch produzieren.
Andere beklagen die schlechte Luft, haben aber gerade einen Zweitwagen angeschafft. Wieder andere möchten gerne mitten in der Stadt auf einem idyllischen Bauernhof leben mit viel Grün drum herum, befürworten aber für alle anderen Bürger Hochhäuser, die allerdings außer Sichtweite ihres in Citylage befindlichen Gehöfts liegen sollten, was für Stadtplaner immer wieder eine gewisse Herausforderung darstellt.
Man hält so etwas aus, wenn man in der Stadt lebt, weil man weiß, dass hier nicht alles seine Ordnung haben kann. Die Stadt als soziales Gebilde bezieht schließlich Teile ihrer Attraktivität aus dem Unerwarteten, aus dem positiv interpretierten Widerspruch. Das Unerwartete kann aber oft nur entstehen, wenn da Dinge sind, die nicht der vorgegebenen Ordnung folgen. Als urbaner Profi bekommt man mit den Jahren einen Blick für den Charme des Ungehörigen, des Unordentlichen.
Trotzdem war ich kürzlich stark verwirrt, als mir Fotos in die Hände fielen, die ich schon vor ein paar Jahren geschossen hatte. In dem Zusammenhang wundere ich mich übrigens gerade sehr, dass ich in meiner antiquierten Vorstellung Fotos immer noch schieße, wo ich doch anerkannter Kriegsdienstverweigerer und deshalb jeglicher Aggression abhold bin. Das mit dem Schießen wirkt zudem noch unpassender, wenn man bedenkt, dass ich die Bilder mit meinem Smartphone aufgenommen habe. Einfach so. Drauf gehalten, einmal geklickt, fertig ist der Pixelhaufen, der sich mir wohlgeordnet als visuelles Dokument andient.
Schießen hin, schießen her, ich entdeckte auf jeden Fall ein paar Fotos von Gebilden, die bei einer Recherche auf dem östlichen Bürgersteig der Rotterdamer Straße meine Aufmerksamkeit erregt hatten und nun meinen Widerspruch herausforderten. Es handelt sich um rundliche Erscheinungen, die ein bisschen wirken wie verfettete Steine aus einem vergessenen Mühle-Spiel. Die Haut der Steine ist rau und mit einer Art angeklebtem Kiesel gesprenkelt, der dem Ganzen optisch eine ziemliche Wucht verleiht. Sie stehen dort offensichtlich schon eine ziemliche Weile, weshalb sie hier und da kräftig Moos angesetzt haben. Diese Steine sind nicht schön, aber nützlich. Sie sorgen dafür, dass der Bürgersteig nicht zum Parken genutzt wird, was wohl gerade zu Messezeiten seine Nötigkeit hat, wenn all die Zweitwagenbesitzer anrauschen, etwas von Parkdruck murmeln und sich dann hinstellen, wo Platz ist.
Da, wo die Steine aus dem Mühlespiel stehen, können die von Parkdruck geplagten Zweitwagenbesitzer nun aber nicht parken, was aus meiner Sicht durchaus seine Ordnung hat. Allerdings öffnet sich da aus meiner Sicht eine Art Zwickmühle, denn so wie die Steine angeordnet sind, besetzen sie ein gutes Drittel des ohnehin nicht sehr üppig dimensionierten Bürgersteiges. Sie schränken diesen in seiner Funktionalität somit extrem ein, denn ein Bürgersteig soll bekanntlich dazu dienen, dem Bürger, der zu Fuß unterwegs ist, einen Weg zu bahnen.
Was aber ist der Sinn eines Bürgersteigs, wenn man ihn mit Betonklötzen gleich wieder verunmöglicht? Um es nochmal klar zu sagen: Man baut etwas, also einen Bürgersteig, und entzieht diesem dann teilweise seine Funktion. Hätte man da nicht gleich die Straße breiter machen können?
Nun erwächst aus diesem Widerspruch kein großes Problem in der täglichen Verkehrspraxis. Höchst selten sind auf diesem Bürgersteig überhaupt Menschen zu entdecken. Wer setzt sich schon dieser Enge aus, wenn auf der anderen Seite der Rotterdamer Straße ein prachtvoller Weg in voller Flanierbreite zum Lustwandeln einlädt? Ohnehin wirkt die Rotterdamer Straße an Tagen ohne Messe- oder Stadionveranstaltungen stets ein bisschen wie eine deutsche Autobahn zu Zeiten des Sonntagsfahrverbots.
Ich habe danach ein wenig Ausschau gehalten in der Stadt und geprüft, ob es noch andere Stellen gibt, an denen der Bürger durch betoneske Mühlespielsteine an der Fortbewegung gehindert wird. Ich bin gefahren und gefahren und kaum fündig geworden. Am Trippelsberg in Reisholz fand ich noch ein paar Exemplare, aber danach war dann schnell Schluss mit meiner Sichtung. Ganz offensichtlich sind diese Parkverhinderungssteine ein bisschen aus der Mode gekommen. Ihre Funktion haben vielerorten schlanke Metallstäbchen übernommen.
An der Bilker Allee traf ich dann aber doch noch auf ein paar Exemplare. An der Ecke zur Kronenstraße wurde eine Handvoll ausgewildert. Allerdings ist diese Population wohl nur mittelbar mit den kieseligen Rundlingen von der Rotterdamer Straße verwandt. Die in Unterbilk sind nämlich in ihrer Gestalt zwar auch rund, aber nicht so wuchtig und somit eindeutig niedlicher. Naive Gemüter mögen sich von diesen Wesen an den niedlichen Androiden R2D2 aus „Stars Wars“ erinnert fühlen oder an die Minions aus den putzigen Animationsfilmen, wo abgerundete gelbe Zylinder mit großen Augen allerlei Abenteuer zu erledigen haben.
Warum genau die Minions dort stehen, wo sie auf der Bilker Allee stehen, weiß niemand. Also ich weiß es nicht und damit ja quasi niemand. Sie wirken wie vor langer Zeit dort abgestellt und dann vergessen. Darauf deutet zumindest ihr Äußeres hin, das berichtet von vielen Jahren, die sie dort schon ihren Dienst tun. Manche haben sich Risse zugezogen, sind noch grauer geworden als sie ohnehin schon waren. Die Zeiten, als auf dieser Ecke mal Autos ihrem Parkdruck nachgeben konnten, scheinen lange her. Immerhin ist diesen Beton-Minions aber inzwischen eine neue Funktion zugewachsen. Man kann nämlich zwischen ihnen prima einen E-Roller abstellen, der dann nicht mehr ganz so sehr im Weg steht wie sonst üblich.
Das ist das Schöne am Stadtleben. Es schöpft noch aus den unsinnigsten Konstellationen immer wieder neuen Sinn. Was eben noch als überflüssige Verschandlung galt, ist plötzlich nützlich. Positiv gelebter Widerspruch ist eben auch, was man aus ihm macht.