Die ewig junge Kreuzherrenecke wird 60
Die ewig junge Altstadtlegende wird selbst heute noch vom Künstler Markus Lüpertz aufgesucht. Für die Jugend ist sie der „geilste Club“ an der Ratinger Straße.
Düsseldorf. Die altehrwürdige Schnapsbude Kreuzherrenecke zwischen Alte Stadt und Ratinger Straße feiert am Sonntag Jubiläum. Eine der ältesten Szene-Kneipen der Nachkriegszeit wird 60 Jahre alt. Um 14.30 Uhr geht es los mit Beat und Blues über Rock’n’Roll bis hin zu Schlagern, mit Fender-Gitarre und röhrendem Saxofon. Das Ende ist wie immer in dieser Kneipe offen. Die offizielle Eröffnung datiert zwar vom 29. November 1954, aber das spielt längst keine Rolle mehr. Gefeiert wird immer.
Wichtiger als der exakte Geburtstag sind die Umstände, unter denen das Lokal entstanden ist. Ihr Schöpfer war der legendäre Kneipengründer Otto Schuster, der 1901 im heutigen Tschechien das Licht der Welt erblickte, in Wien und Berlin Medizin und Psychologie studierte und als „Universitätsmeister im Boxen“ geschätzt war.
Weil die Großmutter Jüdin war, flog er bei den Wasserwerken in Düsseldorf als Chemiker raus und wurde von Freunden versteckt. Kaum war der Zweite Weltkrieg beendet, heiratete er Trude, die im „Hühner Hugo“ Hähnchen verkauft hatte. Das „Hühner Hugo“ ist inzwischen sanft eingeschlafen. Was blieb, ist das „Csikos“ des Otto Schuster mit den ungarischen Spezialitäten. 1954 eröffnete Schuster die Kreuzherrenecke mit 80-prozentigem Schnaps aus Polen, damals eine Sensation.
Der Schnapsausschank ist geblieben. Im obersten Regal lagern die alten Kostbarkeiten und setzen Staub an. In den unteren Fächern sehen die Flaschen blitzblank gesäubert aus, denn die einstige „Räucherkammer“ ist einem sauberen Milieu gewichen.
Nach Auskunft des jetzigen Wirts Matthias Althof begrüßt das jugendliche Publikum diese zigarettenfreie Zone und feiert den „geilsten Club, den es gibt“, wie der Wirt stolz berichtet. Für die Älteren ist es eher „das gemütliche Wohnzimmer“, so Althof, wegen der alten Spielorgel und den alten Musikbändern. Zu den älteren Semestern gehört der pensionierte Akademierektor Markus Lüpertz, der erst vor drei Tagen wieder auftauchte und wie stets eine Runde fürs Personal spendierte.
Die Kreuzherrenecke, zeitweilig Kreuzherreneck genannt, hieß früher auch „Bobby“ nach dem Kellner. Der kam als Johann Franz von Boekumen 1923 zur Welt und wurde noch in seinem Geburtsjahr von der Familie Rethmeyer adoptiert, als sein leiblicher Vater erschossen wurde.
Er baute 1938 in der damaligen Papierfabrik Jagenberg ein Trafohaus und erlebte im Zuge der „Reichskristallnacht“, wie die Bücher nicht nur in Flammen aufgingen, sondern in den Werkhallen auch wieder verwertet wurden. In Aktentaschen und Kartons schmuggelte er die Bücher nach draußen und versteckte sie in einer Sickergrube. Das Trafohaus steht nicht mehr, und die Bücher sind längst vermodert. Die Erinnerung an das Faktotum ist in einem dicken Bilderbuch verewigt.
Nach dem Krieg wurde „Bobby“ Buffetier im ‘“Schlüssel“ und lernte Otto Schuster kennen. Der plante gerade die Kreuzherrenecke als Künstlertreff, damit ihm die armen Schlucker im berühmten „Csikos“ nicht die wenigen Plätze wegnahmen. Heute ist der Kellner kein Bobby mehr, aber doch immerhin ein „Robby“.
Probleme gibt es keine. Und der Wirt Althof hofft, dass dies so bleibt, denn im Andreasquartier auf der anderen Straßenseite müssten die Investoren ja wissen, was ihnen blüht. Althof: „Wir haben wochentags bis 1 Uhr, am Wochenende bis 3 Uhr geöffnet. Auch Nachts kommen Stammgäste, die nach Feierabend ihren Absacker trinken. Früher hatten wir sogar bis 5 Uhr auf. Schlafen kann man hier in den unteren Etagen nicht.“