Schultag Wie Schule auf dem Weg zur Selbstständigkeit hilft
Düsseldorf · In unserer Serie stellen wir Schulen der Stadt vor, heute die Heinrich-Heine-Gesamtschule. Am Ende des Jahres wählt eine Jury die Träger des WZ-Schulpreises.
„Es ist wunderbar, dass wir die Möglichkeit bekommen, unsere Schule vorzustellen.“ Justin nimmt seine Sache ausgesprochen ernst. Als Schülersprecher setzt er sich für die Anliegen und Rechte seiner Mitschüler ein, erfüllt aber auch repräsentative Pflichten. Und dabei legt der 16-Jährige großen Wert auf Umgangsformen. Selbstbewusst, aber immer höflich stellt er Ideen und Verbesserungsvorschläge bei der Schulleitung vor. „An dieser Schule läuft sehr vieles sehr gut“, sagt er deshalb auch nicht weniger diplomatisch gegenüber der Presse, „es gibt viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Aber natürlich kann man sich als Schule immer auch verbessern.“ So steht auf der To-Do-Liste des Gesamtschülers als nächstes die Verschönerung der Klassenräume. Die Wände sollen gestrichen, die Sitzbänke gescheuert werden.
Für Schulleiterin Annette Günther ist der Kontakt mit Justin immer wieder eine Freude. Nicht nur, weil der Junge vorbildliche Umgangsformen pflegt. Er hatte, wie viele andere Schüler an der Schule, einen holprigen Start. Ihn heute zufrieden und engagiert zu sehen, mit der Perspektive, die Oberstufe zu besuchen und danach politisch aktiv zu werden, erfüllt sie mit Stolz. „Da weiß man, warum man gerne an einer Gesamtschule arbeitet“, sagt sie.
Die zweitälteste Gesamtschule der Stadt, mit 1300 Schülern
Die Heinrich-Heine-Gesamtschule an der Graf-Recke-Straße ist die zweitälteste Gesamtschule in Düsseldorf und mit 1300 Schülern eine der größten. „Sie war lange Zeit die einzige Gesamtschule im Düsseldorfer Norden. Das führt bis heute dazu, dass unser Einzugsgebiet sehr groß ist: Wir bekommen in der fünften Klasse Schülerinnen und Schüler aus mehr als 40 Grundschulen“, sagt Schulleiterin Günther. Dementsprechend heterogen sei auch die Schülerschaft: Schüler mit einer glatten gymnasialen Empfehlung lernen in der Heine-Gesamtschule neben Schülern mit speziellem Förderbedarf.
„Aber auch kulturelle Heterogenität gehört dazu, Schüler aus 65 Nationen besuchen die Gesamtschule aktuell, sämtliche Weltreligionen sind vertreten. Hinzu kommt, dass die Schülerschaft auch durch ein hohes Maß an sozialer Heterogenität geprägt ist. All das bedeutet für uns eine große Herausforderung, der wir bewusst und sehr gerne begegnen“, sagt Günther.
Die Schule ist in zwei Gebäudekomplexe unterteilt, die etwa 500 Meter voneinander entfernt liegen. Die Jahrgänge 5 bis 7 sind in der Dependance untergebracht. „Die Schüler beginnen ihre weiterführende Schulzeit also erst einmal in einem überschaubaren Rahmen“, sagt Günther, die 2010 die Schulleitung übernahm. Damit aber auch schon die jungen Schüler Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen, ist an der Gesamtschule das „selbstständige Lernen“, eine Art Freiarbeit, eingeführt worden.
Zwei Stunden am Tag bearbeiten die Schüler Aufgaben in vier verschiedenen Fächern, deren Reihenfolge sie selbst festlegen und deren Erledigung sie am Ende selbst protokollieren, verwalten und zur Kontrolle dem Lehrer vorlegen müssen. „Es zeigt sich, dass die Selbstorganisation für viele Schüler sehr schwierig ist. Aber das ist genau das, was wir angehen wollen“, sagt Annette Günther. Denn nicht nur in der eigenen Oberstufe werden genau dort Defizite sichtbar, auch von Hochschulen und aus Ausbildungsbetrieben komme immer wieder die Kritik, dass Absolventen in Sachen Selbstständigkeit und Selbstorganisation Nachholbedarf hätten.
Jolina aus der siebten Klasse zählt sicherlich nicht dazu. In sogenannten Lern-Etappen erarbeitet sie gerade das Themenfeld „Gefährdung unserer Lebensräume“ im Fach Gesellschaftslehre. Einige Sitzplätze weiter sitzt Rathusan und kaut konzentriert auf seinem Stift herum. Er lernt anhand seines Arbeitsblattes, wie ein Plakat gestaltet wird. Aus dem Effeff erläutert er das System der Etappen, der verschiedenen Lernbausteine, um dann tapfer zu ergänzen: „Das bereitet uns schon mal auf das spätere Leben vor.“
Drei Reihen hinter Rathusan sitzt Ibrahim über dem Aufgabenblatt „Vulkane in Südamerika“. Neben ihm liegt ein Tablet, darauf zu sehen ist der Wikipedia-Eintrag zum Thema. „Je nach Aufgabe dürfen wir auch das Tablet einsetzen“, sagt Ibrahim und starrt wieder auf den Bildschirm.
Wenn es nach Lehrer Torsten Tews geht, würden Tablets noch viel häufiger zum Einsatz kommen. Er hat sich vergangenes Jahr mit einigen Kollegen für die Digitalisierung an seiner Schule stark gemacht. „Es gab bis vor kurzem nur die Computerräume mit fest installierten PCs“, sagt er. Mittlerweile verfügt die Schule mit seinen 1300 Schülern zumindest über 60 iPads. „Langfristiges Ziel ist eine 1:1 Ausstattung. Jedes Kind sollte ein eigenes Gerät zur Verfügung haben“, sagt Tews. Lernplattformen könnten dann genutzt, die Geräte mit nach Hause genommen werden. „Computerräume sind nicht mehr zeitgemäß.“
Um die Schüler aber auch auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die mit der Digitalisierung einhergehen, gibt es Schüler wie Angelina. Sie ist zum Medienscout ausgebildet worden, hält in den Klassen Vorträge über Risiken und den Datenschutz und steht bei Fragen und Problemen als Ansprechpartnerin und Vermittlerin zur Verfügung. Auch das Thema Cybermobbing wird in Workshops mit Schülern behandelt.
Die Ganztagsschule bietet neben dem Unterricht aber nicht nur Raum für das soziale Lernen, sondern auch für Arbeitsgemeinschaften und gemeinsame Ausflüge. Für Schüler, die sich für Sprachen interessieren, ist vor Jahren eine Japanisch AG eingeführt worden, die laut Angelika Pfennig, der didaktischen Leiterin an der Gesamtschule, sehr gut angenommen wird. „Ich habe zuletzt von einer Schülerin die Rückmeldung bekommen, dass sie nun japanisch studieren wird“, sagt sie, „schön, wenn wir etwas dazu beitragen konnten.“
Aber auch eine Nichtschwimmer-AG ist vor Jahren gegründet worden, um dem wachsenden Anteil schwacher Schwimmer zu begegnen. „Mittlerweile können 50 Prozent der Schüler, die in der fünften Klasse zu uns kommen, nicht ausreichend schwimmen“, sagt Annette Günther. Ein Lehrer der Schule habe sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, dass jedes Kind der Schule nach Abschluss so sicher schwimmen kann, dass es niemals in eine lebensbedrohliche Situation im Wasser gerät.
40 Prozent der Schüler der Heinrich-Heine-Gesamtschule wechseln nach der Mittelstufe in die Oberstufe. Wie viele Schüler dann das Abitur machen, kann Schulleiterin Günther nicht sagen. „Aber das ist auch gar nicht wichtig. Wichtig ist, dass jeder Schüler seinen individuellen Weg findet“, sagt sie.