Stadt-Teilchen Als ich einmal den wütenden John McEnroe darstellte
Düsseldorf · Beim Aufräumen hat unser Autor unter anderem ein altes Foto von sich entdeckt – und erzählt eine Geschichte dazu.
Das Schöne an der aktuellen Lage ist ja, dass man inzwischen in meinem Keller CDs produzieren könnte. Oder sonst irgendetwas, das eine Reinraum-Atmosphäre braucht. Picobello sauber ist mein Souterrain, denn ich habe die vielen aneinandergereihten Sonntage genutzt, um aufzuräumen und die Resterampe für ausrangierte Haushaltsgegenstände in einen vorzeigbaren Raum zu verwandeln. Das hat etwas gedauert, weil ich während meiner Reorganisationsaktion immer wieder auf längst vergessene Gegenstände gestoßen bin, die mich tief in meine Vergangenheit geführt haben.
Zum Beispiel auf die Tennisplätze von Lörick und ins Jahr 1985. Da war ich nämlich für einen winzigen Moment Weltstar. Ich war der berühmte Tennisspieler John McEnroe, ich hatte 1984 Wimbledon und die US Open gewonnen, und ich war bekannt für meine Wutanfälle, wenn der Schiedsrichter mal wieder eine Fehlentscheidung getroffen hatte. Dann hämmerte ich mit meinen Schläger auf den roten Sand und stieß die wildesten Flüche aus.
Ich war natürlich nicht wirklich John McEnroe. Ich stritt das sogar vehement ab, als mein Freund mich fragte, ob ich nicht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen mir und dem berühmten Tennis-Star diagnostizieren würde. Mein kategorisches Nein wurde indes umgehend aufgeweicht, als mein Freund seinen Return servierte. „Schade, wenn du aussähst wie John McEnroe könntest du vielleicht 800 Mark verdienen. An einem Tag.“
Mein Nein zerschmolz umgehend wie Butter in der Sommersonne. „Ja, nee, eigentlich, irgendwie, doch, kann man vielleicht so sehen“, stammelte ich. Mein Freund lachte sich scheckig ob meiner Verwandlung und kündigte an, ich würde sehr bald von einem Fotografen hören. Der rief tatsächlich an, bestellte mich zum Casting und befand, ich sähe tatsächlich ein bisschen aus wie John McEnroe, und genau so einen Typen bräuchte er für seinen nächsten Job.
Der bestand daraus ein Foto zu schießen, auf dem jemand, der ein bisschen wie John McEnroe aussieht, wütend mit dem Tennisschläger auf den Boden klopft, während nebenan die Vorzüge eines Philips-Videorecorders gelobt werden, denn mit dem könne man daheim nachprüfen, ob der Ball nun gut oder doch eher neben der Linie gelandet sei.
Ich fühlte mich mit meinen 800 Mark sofort unterbezahlt, weil ich natürlich wusste, dass ein Weltstar wie McEnroe wohl nicht mal für das Hundertfache dieser Summe zu haben gewesen wäre. Da ich aber scharf auf das Geld war, hielt ich meinen Protest zurück. 800 Mark an einem Tag, dafür würde ich noch heute sonst was machen.
Allerdings war der Fotograf nicht angetan von meiner Haarfarbe. Die von McEnroe sei etwas heller, befand er und machte mir einen Termin bei einem Friseur auf der Hohe Straße. Dort lief ich gutgelaunt ein. Was sollte schon passieren, dachte ich. Wie dumm ich war.
Ich wusste nicht, dass man Haare nur heller machen kann, wenn man vorher alle vorhandene Farbe entfernt. Ich bekam irgend eine komische Masse auf meine kräftigen Locken gepappt, was eine Weile einwirken musste. Als die Masse abkam, erschrak ich zu Tode. Ich hatte schlohweißes Haar und sah aus wie ein leicht verfetteter Billy Idol. Der Friseur beruhigte mich allerdings. Das werde schon wieder, log er und schmierte mir erneut irgendwas ins Haar. Am Ende war meine Pracht dann tatsächlich eine Spur heller als vorher. Es dauerte danach allerdings Monate, bis sich meine Haare von der Strapaze halbwegs erholt hatten und sich nicht mehr anfühlten wie mit Beton versetztes Stroh. Aber das sagte mir damals niemand.
Stattdessen wurde ich auf die Tennisplätze von Lörick bestellt und musste dort all die Markenklamotten anziehen, die John McEnroe auf dem Platz auch so trug. Als ich auf den Platz kam, bevölkerten dort schon knapp 30 Statisten die Ränge. Sie sollten sich fürs Foto darüber aufregen, dass McEnroe wieder mal wütend protestiert.
Leider klappte das mit der Wut bei mir nicht so. Ich setzte mein bösestes Gesicht auf und hämmerte verzweifelt auf den Sand, aber immer wenn der Fotograf dann mit der Probeaufnahme rüberkam, sah es aus, als würde ich freundlich lächeln. Ein lächelndes John-McEnroe-Double war aber das letzte, was er gerade brauchen konnte.
Also schickte mich der Fotograf weg. Ich solle jetzt einmal in hohem Tempo bis zur Theodor-Heuss-Brücke und zurück joggen, und dann werde man mal schauen. Ich tat wie mir geheißen und war ratzfatz an der Brücke, merkte allerdings auf dem Rückweg, dass Sport etwas ist, das für meinen Körper damals noch weniger geeignet erschien als heute. Ich bekam Seitenstiche und hechelte wie ein Hund im überhitzten Auto. Wie gerne hätte ich einen Abstecher ins Löricker Freibad unternommen. Das Wasser dort blinzelte mir beim Vorbeikeuchen karibikblau zu. Aber ich hatte einen Auftrag. Mit letzter Kraft kam ich zurück auf den Tennisplatz.
Dem Fotograf gefiel meine Erschöpfung. Mit dem letzten Rest meines Elans haute ich auf den Boden und versuchte, halbwegs grimmig zu gucken. Wieder und wieder musste ich das tun, denn immer wenn ich ein richtig böses Gesicht hingekriegt hatte, schaute irgendeiner der Komparsen falsch, und wenn die Komparsen richtig schauten, grimmte ich wieder zu freundlich. Es war richtig harte Arbeit, aber irgendwann war das Ding im Kasten. Ich bekam meinen Scheck: 800 Mark. Wow!
Ein paar Monate später rief mich mein Freund an, und sagte: Kauf dir mal die „Hör zu“. Ich sprintete zum Kiosk, kaufte die „Hör zu“ und blätterte fiebrig darin herum. Und tatsächlich, ich fand die Anzeige mit John McEnroe, also mit mir. Über zwei fette Seiten erstreckte sie sich. Ich in der „Hör zu“! Ich kaufte gleich noch mehr Exemplare. Meine Mutter war sehr stolz, als ich ihr eines davon überreichte. Ihr süffisantes „Du spielst doch gar kein Tennis“ überhörte ich geflissentlich.
Ich stellte dann fest, dass ich nicht nur in der „Hör zu“ der Posterboy des Jahres war, sondern auch in anderen Hochglanzmagazinen. Auf einmal verschwamm meine Wahrnehmung. Doch, ich war der Weltstar von Lörick. Ich, der Bilker Junge ein Star auf rotem Sand.
Daran musste ich denken, als mir beim Kelleraufräumen der rote Rahmen in die Hände fiel, in dem meine Mutter mein kurzes Weltstar-Dasein an die Wand gebannt hatte. Das Bild ist inzwischen sehr verblichen, quasi ein Schatten seiner selbst, und der Sand ist nur noch teilweise rot. Mein erster Blick richtete sich beim Wiederauffinden allerdings nicht auf mein böses Gesicht, sondern auf meine gefärbten Haare, und nachdem ich mir kurz über die Glatze gestrichen hatte, war ich mir sicher, dass mein jetziges Aussehen eng verbunden ist mit meiner kurzen Karriere als Tennisstardarsteller. Glasklar erschien der Preis für den Ruhm vor meinem geistigen Auge. Ja, ich war zwar kurz John McEnroe, aber ich hatte dafür beim Umfärben meine Haare geopfert. Keine Frage, die Glatze ist der Spätschaden meiner damaligen Berühmtheit. Ob ich ohne diese Aktion vielleicht noch meine geliebten Locken hätte? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Alles hat seinen Preis im Leben. Wenigstens ist der Keller aufgeräumt.