Profi-Pfandsammler aus Düsseldorf „Am Japan-Tag mache ich 200 Euro mit Pfandflaschen“
Düsseldorf · Rafael Lassak sammelt Flaschen, um seine Rente aufzubessern. Früher war es ihm peinlich – heute macht er sogar Werbung für sich.
Es gibt viele Orte, an denen man dem Mann mit „Pfandsammler“-Shirt, Hosenträgern und Fahrrad samt Anhänger begegnen kann: An sonnigen Wochenenden zum Beispiel im Volksgarten, oder am kommenden Japan-Tag rund um den Landtag. Seine tägliche Runde aber macht Rafael Lassak an etwa einem Dutzend Altglascontainern im Düsseldorfer Zentrum. Wenn dort jemand Abfall ablädt, regt er sich auf: „Die können doch nicht meinen Arbeitsplatz zumüllen!“ Und wenn dort gerade jemand Flaschen einwirft, drückt er ihm eine Visitenkarte in die Hand. Darauf zu sehen sind sein Gesicht, seine Kontaktdaten, ja neuerdings sogar „Einsatzzeiten“. Und unter seinem Namen steht, was er seit seiner Frührrente macht: Der 65-Jährige ist Pfandsammler.
Dieser Beschäftigung gehen in Deutschland etwa eine Million Menschen nach – diese Zahl schätzte das Marktforschungsunternehmen Appinio in einer „repräsentativen Studie zur Lebensrealität von Pfandsammlern“ aus dem Jahr 2021. Rafael Lassaks Lebensrealität ist, dass seine monatliche Rente nicht zum Leben reicht. Daher geht er seit mehr als zehn Jahren regelmäßig auf Tour. Viele nutzen den Wert von leeren Flaschen als Nebenverdienst. Nur wenige sind dabei so systematisch wie dieser Düsseldorfer.
Als Arbeitskleidung trägt er Shirts mit seiner Berufsbezeichnung, fünf Stück hat er davon – in gelb und rot. So erkennen ihn die Kunden schon von Weitem und winken ihn ran. Sein Dienstfahrzeug ist ein Fahrrad, zwei Anhänger hat er dafür. So kann er bis zu 250 Flaschen transportieren, verpackt in Kästen, Tüten, Satteltaschen. Auf einem der Hänger steht sogar seine Handynummer für einen „Abholservice“, es sieht aus wie ein Werbewagen. Einmal sei er damit beim Finanzamt an der Kruppstraße vorgefahren, erzählt Lassak. Um zu fragen, ob er eigentlich Steuern zahlen müsse. Die Antwort der Beamten gibt er in eigenen Worten so wieder: „Steuern? Du machst doch die Stadt sauber! Fahr‘ weiter.“
Das NRW-Finanzministerium
geht von einem Einzelfall aus
Jeder Privatmensch weiß, dass den Fiskus Pfandflaschen nicht interessieren – meist stehen auf dem Bon ja nur kleine Eurobeträge. Aber was ist, wenn das einer so professionell macht? Nach einer Anfrage an die Stadt Düsseldorf sagt deren Sprecher, man solle sich an das NRW-Finanzministerium richten. Dort heißt es: „Nicht wir, sondern die Oberfinanzdirektion ist zuständig.“ Und von da folgt dann eine Bitte um Verständnis – man könne nicht näher auf Einzelfälle eingehen oder steuerliche Ratschläge erteilen.
Gut, dann konzentrieren wir uns eben wieder auf den Einzelfall. Wie hat das eigentlich alles angefangen, Herr Lassak? Bei einem Kaffee in seiner Stamm-Billardkneipe „Die Blende“ gibt er einen kurzen Rückblick in das Leben vor dem Pfandsammeln: 1974 Bäckerlehre in Düsseldorf, zwölf Jahre Geselle, Arbeit in einer Großbäckerei. „Plötzlich bekam ich eine Mehlallergie, und es war vorbei.“ Dann drei Jahre Autos putzen bei einem befreundeten Händler, danach malochen im Lager von Karstadt in Eller, schließlich 16 Jahre lang Kurierfahrer. Bis ihn ein Bandscheibenvorfall in die Frührente schickte. „Das war ein Riesenbruch für mich“, erinnert sich Lassak.
Was tun? Er ging in sich, ging spazieren im Wuppertaler Zoo, spielte abends Billard in der „Zwiebel“ in der Altstadt – und sah dort im Sommer 2013 einen BMW vor der Tür. „Der gehörte einem Pfandsammler, der hat das Ding vollgemacht“, sagt Lassak. „Da habe ich mir gedacht: Da muss ja was bei rumkommen!“
Gedacht, Getan. Er zog zunächst nur mit einer Handkarre los, zu Fuß aus seiner Wohnung in Friedrichstadt, ausschließlich nachts. Um zu zeigen, wie er sich damals fühlte, zieht der Düsseldorfer den Kragen seiner Jacke hoch, bis über den Kopf. „Mir war das peinlich, ich dachte: Hoffentlich sieht mich keiner.“ Dann aber merkte er, dass tatsächlich was dabei rumkommt. 30 Euro nur mit Pfand, in einem Monat. „Das war viel für mich“, sagt Lassak. Und er wollte mehr.
Mit jeder Flasche sammelte er auch Erfahrung: Wo stellen Leute was ab, wie vermeidet man Stress mit „Kollegen“, an welchem Automaten läuft die Abgabe am einfachsten? Heute sei er nicht mehr beschämt, sondern einfach nur stolz auf seine Arbeit, sagt Lassak. Er macht täglich seine Container-Tour und schwärmt von den „Glücksgefühlen“, wenn er eine Flasche mit der Greifzange aus dem Altglas fischt. An sonnigen Wochenenden fährt er durch den Volksgarten, „das ist mein Urlaub“. Und am Samstag, wenn Japan-Tag ist, stellt er sich auf eine Zwölf-Stunden-Schicht ein. Von Mittag bis Mitternacht, sammeln, wegbringen und wieder sammeln. „Das ist der beste Tag des Jahres für mich, 200 Euro sind drin.“
Wie lange soll das noch so gehen? Gibt es nicht auch für Pfandsammler ein Renteneintrittsalter? Rafael Lassak sagt, die Beschäftigung halte ihn gesund. Und glücklich. „Ich mache weiter, selbst wenn ich zehn Millionen im Lotto gewinnen würde. Diese Arbeit ist mein Leben.“