Was sind die größten Aufgaben des neuen schwarz-grünen Bündnisses, bezogen auf Natur und Umwelt?
BUND in Düsseldorf „Ich wünsche mir eine autofreie Innenstadt“
Interview | Düsseldorf · Dirk Jansen vom BUND erklärt, warum Klimaneutralität bis 2035 ein machbares Ziel ist.
Seit mehr als 35 Jahren engagiert sich die Kreisgruppe des BUND für den Schutz der Umwelt, für Mensch und Natur. Zurzeit hat sie fast 1500 Mitglieder. NRW-Gebietsleiter Dirk Jansen spricht im Interview über Umweltpolitik sowie die Natur in Düsseldorf.
Dirk Jansen: Wir stecken mitten in der Klimakrise und auch der dramatische Verlust an biologischer Vielfalt bedroht unsere Lebensgrundlagen. Angesicht der sich daraus ergebenen Herausforderungen wird die Corona-Pandemie in der Rückschau nur eine kleine historische Episode gewesen sein. Den Städten und Kommunen kommt bei der Bewältigung dieser existenziellen Bedrohungen eine herausragende Rolle zu.
Was müssen sie tun?
Jansen: Wir brauchen eine grundlegend andere Ausrichtung der Verkehrs- und Städtebaupolitik und auch beim Klimaschutz müssen wir noch ambitionierter handeln. Ich wünsche mir 100 Prozent Erneuerbare Energien, eine autofreie Innenstadt, den Stopp des Flächenverbrauchs und deutlich mehr Grün in der Stadt.
Wie bewerten Sie die ersten Monate Schwarz-Grün in Düsseldorf?
Jansen: Für eine Bewertung ist es zu früh, denn der Weg zu dem angekündigten zukunftsfesten Düsseldorf ist lang. Ich will nicht ungerecht sein, aber die erste spürbare Auswirkung der neuen Bündnispolitik für mich war ausgerechnet der Wegfall der Umweltspur an der BUND-Landesgeschäftsstelle an der Merowingerstraße, ohne dass dafür eine adäquate Ersatzlösung geschaffen wurde.
Worauf wird es beim Klimaschutz ankommen?
Jansen: Düsseldorf hat den Klimanotstand festgestellt und sich zum Ziel gesetzt, Klimahauptstadt zu werden. Dadurch allein wird aber noch keine Tonne CO2 eingespart. Der Klimaschutz muss deshalb bei allen Verwaltungsentscheidungen Vorrang vor anderen Belangen eingeräumt bekommen. Und es dürfen nur solche Vorhaben bewilligt werden, die nachweislich einen positiven Klimaeffekt haben. Mir ist es allerdings ein Rätsel, warum noch immer Gewerbegebiete mit Flachbauten oder Wohnbebauungen ohne Solaranlagen errichtet werden. Hier könnte man schon jetzt über städtebauliche Verträge vieles regeln.
Wird Düsseldorf das Ziel Klimaneutralität bis 2035 erreichen?
Jansen: Das ist ein ehrgeiziges, aber machbares Ziel. Dazu müssen alle an einem Strang ziehen: Stadt, Private, Industrie und Handel. Und es braucht ganzheitliche Ansätze, die eine emissionsfreie Mobilität, die Strom- und Wärmeversorgung und auch die wirtschaftliche Produktion zusammen denken. In dieser Sektorenkopplung liegt die Zukunft.
Der Klimawandel macht sich auch in Düsseldorf etwa mit längeren Trockenphasen bemerkbar. Wie werden sich Umwelt und Natur weiter verändern?
Jansen: Die Menschen leiden vor allem in der Wärmeinsel der betonierten Innenstadt gesundheitlich unter der Sommerhitze. Auch die Stadtbäume darben aufgrund der Dürre der vergangenen Jahre, etliche Fließgewässer führen nur noch temporär Wasser, Starkregenereignisse sorgen für Überflutungen. Der anhaltend niedrige Grundwasserspiegel setzt auch immer mehr den Waldbäumen zu. Und noch immer sind die Folgen des Sturmtiefs Ela von 2014 sichtbar. Auch solche Ereignisse werden an Intensität zunehmen.
Wie können wir gegensteuern?
Jansen: Das Klimaanpassungskonzept muss unbedingt nachgebessert und vor allem auch umgesetzt werden. Unsere Stadt muss deutlich grüner werden: Dach- und Fassadenbegrünungen müssen zur Pflicht, Schottergärten konsequent verboten werden. Neuversiegelungen müssen konsequent verhindert werden, es muss der Grundsatz Baum vor Beton gelten.
Unternimmt die Stadt genug für die Umwelt?
Jansen: In der Luftreinhalteplanung haben wir unter dem Druck der Gerichte deutliche Fortschritte erzielt. Das gilt leider nicht im gleichen Maße beim Schutz vor krankmachendem Lärm. Insbesondere auch die Rolle des Flughafens muss viel stärker beachtet werden. Wir alle erleben ja gerade eine ungekannte Ruhe, weil viele Flieger am Boden bleiben. Eine Kapazitätserweiterung darf es deshalb auf keinen Fall geben – im Gegenteil.
Wo besteht noch Nachholbedarf?
Jansen: Auch im Bereich der Abfallwirtschaft liegen große Aufgaben. Noch immer hakt es bei der Erfassung des Biomülls, die Restmüllmengen können noch weiter gesenkt, die Erfassung und stoffliche Verwertung von Wertstoffen gesteigert werden. Abfallvermeidung und Kreislaufwirtschaft müssen oberstes Gebot sein. Da ist auch die Düsseldorfer Gastronomie gefordert. Und wir müssen die Zivilgesellschaft deutlich besser in Entscheidungsprozesse einbinden. Deshalb ist es so wichtig, den Umweltschutz generell viel stärker ins Zentrum zu stellen. Ein Leuchtturmprojekt dazu wäre die schnelle Realisierung des Umwelthauses.
Oberbürgermeister Stephan Keller möchte Düsseldorf zur Fahrradhauptstadt machen. Was haben Sie gedacht, als die davon hörten?
Jansen: Klingt klasse, doch hat er den Mut und die Überzeugung, sich tatsächlich konsequent vom anachronistischen Leitbild einer autogerechten Stadt zu verabschieden?
Wie kann er sein Ziel erreichen?
Jansen: Wir brauchen eine völlig neue Verteilung des öffentlichen Raums. Konkret heißt das: Umwidmung des Straßenraums zugunsten des Fuß- und Radverkehrs sowie des ÖPNV, Abbau des Planungs- und Realisierungsstaus von Radverkehrsinfrastruktur durch Bereitstellung entsprechender Ressourcen. Dazu bedarf es auch der Umschichtung von Haushaltsmitteln. Bislang läuft die angekündigte Radverkehrsoffensive aber eher schleppend an. Wenn es zum Schwur kommt, genießt der Pkw- oder Lkw-Verkehr offenbar immer noch Vorrang – siehe die Posse um den geschützten Radweg durch den Reisholzer Hafen.
Verfolgt die Stadt die richtige Strategie für eine erfolgreiche Verkehrswende?
Jansen: Solange eine Politik verfolgt wird, möglichst niemandem weh zu tun oder eingefahrene Gewohnheiten grundsätzlich infrage zu stellen, wird das nichts mit der Mobilitätswende. Hier braucht es Rückgrat: Die Stadt muss wieder den hier lebenden Menschen zurückgegeben werden, anstatt sie als Verkehrsraum für Automobilisten zu betrachten. Und es muss wieder für alle erschwinglicher Wohnraum in einem gesunden Umfeld geschaffen werden. Nur so vermeiden wir, dass die Menschen aus der Stadt vertrieben und neue Pendlerströme provoziert werden.
Wie nimmt der BUND es wahr, dass sich die Menschen in der Pandemie wieder für Spaziergänge und Radtouren in der Natur begeistern?
Jansen: Ich habe da zwiespältige Gefühle. Einerseits ist es schön, dass die Menschen jetzt verstärkt die heimische Natur entdecken und wertschätzen. Wir müssen halt nicht unbedingt in die Serengeti fahren, um seltene Tiere zu entdecken. Andererseits steigt aber erkennbar auch der Nutzungsdruck – mit vielen negativen Folgen.
Wie meinen Sie das?
Jansen: Ich beobachte das besonders intensiv in der Urdenbacher Kämpe: Etliche Besucher halten sich nicht an das Wegegebot oder lassen ihre Hunde frei laufen. Und die zurzeit brütenden Eisvögel werden an manchen Tagen von Naturfotografen geradezu belagert. Überspitzt gesagt: Wir drohen, unsere Natur zu Tode zu lieben.
Welchen Wunsch hat der BUND für die nächsten Jahre?
Jansen: Die Corona-Pandemie zeigt, wie wichtig eine intakte Natur auch zum Wohle des Menschen ist. Das muss sich auch in der Politik niederschlagen. Ich hoffe, das Schwarz-Grün den Himmelgeister Rheinbogen zu einem weiteren Leuchtturm-Projekt für mehr stadtnahe Natur und biologische Vielfalt macht. Durch die Rückverlegung des Hochwasserschutzdeiches könnten dem Rhein seine Aue zurückgegeben und wertvolle Lebensräume geschaffen werden. Und diese ohne Abstriche beim Hochwasserschutz. Davon würden Mensch und Natur gleichermaßen profitieren.