Forschung in Düsseldorf „Antisemitismus ist für viele ein Tabu-Thema“

Düsseldorf · Ursula Hennigfeld leitet ein internationales Projekt über Antisemitismusprävention in Schulen. Jetzt findet die Auftakttagung statt.

Ursula Hennigfeld – hier auf dem Campus der Heine-Uni – hat selbst an der HHU studiert und freut sich, seit 2014 wieder in ihrer Heimatstadt leben und arbeiten zu können.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Ein „Du Jude“ als Beleidigung auf dem Schulhof oder der Missbrauch des gelben Sterns durch die Kritiker der Corona-Maßnahmen: Antisemitismus hat viele Gesichter – und grassiert wieder vermehrt in Deutschland, sagt Ursula Hennigfeld. „Antisemitische Narrative sind mitten unter uns und der Diskurs hat sich in den vergangenen Jahren leider stark verschoben.“ Inzwischen werde vieles öffentlich gesagt, was vor Jahren noch undenkbar gewesen sei. Dem möchte die Romanistik-Professorin, die seit 2014 an der Heinrich-Heine-Uni in Düsseldorf lehrt und forscht, nun mit einem internationalen Forschungsprojekt etwas entgegensetzen. Gemeinsam mit zwei Wissenschaftlern der Europa-Universität Flensburg und Praxis- sowie wissenschaftlichen Kooperationspartnern will Hennigfeld untersuchen, wie Antisemitismus im Schulunterricht in Deutschland, Frankreich, Spanien und Rumänien behandelt wird.

Unterrichtsmaterialien zur Antisemitismusprävention

Welche Inhalte spielen überhaupt eine Rolle und wie werden diese vermittelt? Zudem sollen am Ende des Projekts mehrsprachige Unterrichtsmaterialien zur Antisemitismusprävention und ein Handbuch für Lehrkräfte digital und frei zugänglich zur Verfügung gestellt werden. Am Wochenende findet in Düsseldorf die Auftakttagung des Projekts statt, Grußworte sprechen unter anderem die ehemalige Bundesjustizministerin und heutige Antisemitismus-Beauftragte des Landes NRW, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die Rektorin der Heine-Uni, Anja Steinbeck, der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Oded Horowitz, und der Leiter der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte, Bastian Fleermann. Zudem halten Forscher verschiedener Universitäten und Institutionen Vorträge. Zum Abschluss steht ein gemeinsamer Besuch der Mahn- und Gedenkstätte an.

Das Forschungsprojekt orientiert sich an vier Prämissen, erklärt Hennigfeld, die in der Vergangenheit unter anderem zur Verarbeitung des Terrors vom 11. September 2001 in französischer und spanischer Romanliteratur geforscht hat. „Erstens ist die Bekämpfung von Antisemitismus eine gesamteuropäische Herausforderung und muss entsprechend international angepackt werden.“ Das Projekt tue dies exemplarisch für Deutschland und drei weitere Länder. Die Auswahl erklärt sie so: Spanien und Frankreich hätten für sie als Romanistin nahe gelegen, eine Kollegin sei auf Osteuropa und vor allem Rumänien spezialisiert. Dort werde derzeit außerdem an der Einführung von Antisemitismusprävention als Schulfach gearbeitet – möglicherweise ein Vorbild für andere europäische Länder, sagt Hennigfeld.

Zweitens sollte Antisemitismusprävention interdisziplinär angelegt sein, sowohl in der Schule als auch gesamtgesellschaftlich. Antisemitismus sei für viele immer noch ein Tabu-Thema und in vielen Lehrplänen nicht verpflichtend vorgesehen. „Deshalb ist es wichtig, auch mit Lehrerinnen und Lehrern ins Gespräch zu kommen“, sagt Hennigfeld. Die Suche nach Lehrkräften, die sich beteiligen wollen, sei nicht einfach gewesen, inzwischen seien aber aus allen vier Ländern rund 25 Teilnehmer gefunden. Auch aus Düsseldorf beteiligen sich Lehrkräfte, unter anderem vom Luisengymnasium. Zudem wollen die Forscher Fachzeitschriften mit Unterrichtsmaterialien und Debattenbeiträgen auswerten.

Für das Projekt ist drittens wichtig, dass die Gewohnheiten der Mediennutzung von Jugendlichen einbezogen werden. „Und das heißt, dass das Material, das wir erarbeiten, digital und audiovisuell funktioniert“, sagt Hennigfeld. „Wir müssen dahin gehen, wo junge Menschen sich ihre Informationen holen.“ Im Netz verbreiteten sich zudem auch viele antisemitische Äußerungen und Bilder, dem gelte es, genau dort auch entgegenzutreten. Idealerweise soll dies in Deutschland auf einer Bildungsplattform passieren, die bundesweit und niedrigschwellig abrufbar ist. Das Material soll für verschiedene Fächer und Jahrgangsstufen geeignet sein – und, viertens, nicht nur die Jahre des nationalsozialistischen Regimes zwischen 1933 und 1945 behandeln. „Oft wird Antisemitismus als rein historisches Phänomen angesehen“, sagt Hennigfeld, „das greift aber zu kurz.“ Antijüdische Ressentiments und Verfolgungen habe es vor dem Zweiten Weltkrieg genauso gegeben wie es sie heute noch gebe.

Seit mehr als einem Jahr arbeiten Hennigfeld und ihre Kollegen bereits an dem Vorhaben, das vom Bundesbildungsministerium mit einer Million Euro gefördert wird und bis Ende Februar 2025 läuft. Dass die Auftakttagung erst jetzt stattfinden kann, liegt daran, dass zunächst einmal alle Kooperationspartner gefunden und der methodische Überbau festgelegt werden musste. „Jetzt kann es endlich richtig losgehen“, sagt Hennigfeld und freut sich. Pro Jahr wollen die Beteiligten zu mindestens einer weiteren Tagung zusammenkommen.

Die Romanistin und ihre Kollegen konnten für das Projekt renommierte Partner gewinnen. Unter anderem beteiligen sich Forscher des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt am Main, der Hebrew University in Jerusalem sowie der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, dazu kommen neben der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte unter anderem die NS-Dokumentationszentren in München und Köln, das Jüdische Museum in Rendsburg und das Deutsche Historische Museum in Berlin. Hennigfeld ist wichtig, dass sowohl mit wissenschaftlichen als auch mit Partnern aus dem nicht-wissenschaftlichen Umfeld zusammengearbeitet wird. „Hier ist gesamtgesellschaftliches Engagement gefragt“, sagt sie, „Antisemitismus greift uns alle und den Kern unserer Demokratie an.“