Stadt-Teilchen Bummel über leere Wiesen und die Kirmes in Gedanken
Düsseldorf · Dummerweise war ich während der Kirmes im Urlaub, aber ich weiß Abhilfe.
Ich habe was verpasst. Ich war nicht auf der Kirmes. Stattdessen haben mich die Familienpläne im Juli nach ganz weit weg verfrachtet und das Urlaub genannt. Irgendwann im Frühjahr hatten sie das geplant und mich wohl auch gefragt, ob ich einverstanden bin, und ich Trottel habe leichtfertig „Ja, ja“ gesagt. Als ich dann herausbekam, dass der Urlaubstermin genau auf dem der Düsseldorfer Großkirmes lag, war es zu spät. Hotels gebucht, Urlaub beantragt, alles geregelt.
Nur für mich eben nicht, der sich bislang noch immer bemüht hat, keinen Rummel auszulassen, weil Kirmes nun mal eben dazu gehört im Düsseldorfer Leben, auch wenn ich nicht mehr so der Typ bin fürs beabsichtigte Schleudertrauma auf irgendeinem riesigen Herumwirbelgerät. Hui! Wow! Yeah!
Ich weiß noch, wie ich zuletzt vor vielen Jahren auf irgend so einer riesigen Schiffsschaukel war, ordentlich geschüttelt wurde und hinterher drei Tage brauchte, um meinen Kreislauf wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Nein, ich bin inzwischen eher der Typ für den gemütlichen Bummel übern Rummel. Ein Alt hier, kurzer Stopp an der Schießbude und irgendetwas Fettiges, das sich in Sekundenschnelle in Hüfthöhe anhaftet. Danach geht es dann ums Schauen und Staunen und Schlendern. Aber all das habe ich dieses Jahr verpasst.
Als ich daran in der vergangenen Woche dachte, kam mir indes eine Idee, wie ich meine Trauer ein wenig mildern könnte. Ich packte mir mein Rad, überquerte die Kniebrücke und landete auf den Rheinwiesen, wo ich meinen Drahtesel sicher anschloss und mich aufmachte zum verspäteten Kirmesbummel. Allerdings war dort von Kirmes natürlich keine Spur mehr zu finden. Alles weggeräumt, penibel geputzt. Nur hie und da klammern sich noch ein paar Papierreste von der Losbude in den Ritzen der Kopfsteinpflasterfugen fest.
Ich machte mich trotzdem auf, das komplett leere Areal zu bebummeln, es zu teilen mit den Möwen, die hier und da auf den Wiesen herumpicken. Ich beschloss, dass meine Kirmes in diesem Jahr im Kopf stattfindet. Lang genug kenne ich die Düsseldorfer Kirmes, ich weiß, wo was steht. Ich hielt dann kurz neben dem Riesenrad an und nahm ein Alt zu mir. Nicht wirklich, aber wenn man das immer schon so gemacht hat, dann kann man seinen Realitätssinn auch mal überrumpeln und sich Sachen vorstellen, die so nicht sind wie sie sein sollten. Hui! Wow! Yeah!
Natürlich fuhr ich auf dem Riesenrad. Einmal hoch, die Aussicht genießen und herabschauen auf dieses flirrende Gewusel, zu hören, wie sich die einzelnen Attraktionen lautstärketechnisch zu überbieten versuchen, zu riechen, was an Gaumenversuchungen so angeboten wird. An der südöstlichen Ecke blieb ich vor dem alten Standplatz der Wilden Maus stehen und konnte sofort jene Stellen spüren, an denen mir die ruckartigen Richtungswechsel des klassischen Gefährts einst blaue Flecken beschert hatten. Aua, aber so geht Kirmes. Ein bisschen Ruck, ein bisschen Rummel.
Um die Ecke gab es die beste Zuckerwatte, der schönste Beschiss, den ich je kennengelernt habe. Groß und aufgeplustert und vielversprechend, im Mund aber nur noch ein Hauch von süßer Pampe. Herrlich. In meiner Vorstellung schoss ich meiner Liebsten ein paar Plastikblumen. Ich weiß, dass sie immer ein bisschen Angst davor hat, dass ich mit solchen Teilen nach Hause komme, weil sie diese Trophäen nicht einfach so in den Müll entsorgen kann. So etwas macht man nicht mit Jagdtrophäen des Gatten. So landen die Plastikdinger immer in einer Vase an einer unauffälligen Stelle, finden dann irgendwann Asyl im Gästeklo, bis sie schließlich einem Großreinemachen zum Opfer fallen und diskret verschwinden.
Gegenüber der Altstadt verrenke ich meinen Kopf, weil ich den Windungen der Achterbahn folge. Einmal hui, dreimal Wow und dann mit Schmackes in die Kurve. Natürlich habe ich ganz kurz geschrien, so wie ich das auf der Achterbahn auch immer tue. Wo kann man das heute noch: Straflos herumschreien. Das geht nur auf diesem spektakulären Fahrgeschäft und auf den am frühen Abend menschenleeren Rheinwiesen. Hier hört mich keiner. Außer den Möwen vielleicht. Aber was stören mich die Möwen? Kirmes steht ja auch für die Kunst, die Koexistenz mit anderen Menschen auf engstem Raum mit größtmöglicher Eleganz zu praktizieren. Sich zwischen, mit und gegen die Massen zu bewegen, das ist hohe Kunst, das ist wirkliche Entspannung, echte Entschleunigung.
Ich merke, wie magisch verlangsamend so eine Kirmes wirkt, denn allein auf den Rheinwiesen bin ich erstaunlich schnell unterwegs. Ich schreite viel zu hurtig voran, von Schlendern keine Spur. Ratzfatz bin ich am Nordende und lasse mich von der Wasserbahn nassspritzen. Hui! Wow! Yeah! Das gehört zum Standardprogramm.
Trotzdem bin ich verwundert, wie klein das Areal so ganz ohne die vielen Buden wirkt. Kaum ist man losgegangen, ist alles schon wieder zu Ende. Wenn alles blinkt und scheppert und saust, brauche ich locker die zehnfache Zeit für die Strecke. Kirmes ist eben auch, wenn man im größtmöglichen Trubel zur inneren Ruhe kommt, wenn man sich treiben lässt, wenn man für ein paar Stunden so tut, als habe man ewig Zeit.
Als ich fast wieder am Riesenrad und damit auch an meinem Fahrrad angekommen bin, gönne ich mir noch eine Tüte mit gebrannten Mandeln. Das gehört dazu, wenn Kirmes ist. Damit werden alle Plomben im Mund auf Bissfestigkeit geprüft.
Als ich wieder über die Kniebrücke radele, werfe ich noch einen Blick zurück auf das Rheinwiesengelände. In der Realität ist alles so leer, aber in meinem Kopf ist alles so voll, wie es im Juli wohl war. Das tröstet mich. Kirmes im Kopf kann auch schön sein. Nicht ganz so schön wie die echte Kirmes, aber ich habe gelernt, das Mögliche zu lieben und trotzdem weiter vom Unmöglichen zu träumen.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, habe ich ein strunzdoofes Discolied im Kopf. Bestimmt an irgendeinem Fahrgeschäft eingefangen. Ich summe es den ganzen Tag, denn es ist meine Verbindung zum unendlichen Kirmesspaß. Hui! Wow! Yeah!