Hohe Belastung im Rettungswesen „Wir müssen Bagatelleinsätze vermeiden“

Düsseldorf · Die Lage im Rettungsdienst ist in vielen Kommunen angespannt. Thomas Temmel arbeitet bei der Düsseldorfer Feuerwehr und spricht im Interview über Situation und Gründe.

Thomas Tremmels vor einem der neuen Rettungswagen der Düsseldorfer Feuerwehr.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Der Rettungsdienst ist in Deutschland in den vergangenen Wochen immer wieder in den Medien: Zu hohe Belastung, zu wenig (Fach-) Personal, häufig Einsätze, die eigentlich kein Notfall sind. Wie sieht es in Düsseldorf aus? Thomas Tremmel, Abteilungsleiter Technik und Einsatz bei der Feuerwehr Düsseldorf, blickt auf die Lage in der Landeshauptstadt.

Wie ist aktuell die Situation für den Rettungsdienst?

Thomas Tremmel: Wir befinden uns in einer herausfordernden Lage im Rettungsdienst. Das zeigt sich an einer hohen Anzahl von Einsätzen, die Lage in den Krankenhäusern ist auch sehr angespannt. Seit 2014 wird etwa das Berufsbild des Notfallsanitäters neu eingeführt, davor gab es den Rettungsassistenten. Allgemein ändert das im Rettungsdienst sehr vieles.

Was kann dieser dann machen?

Tremmel: Der Notfallsanitäter darf beispielsweise Medikamente verabreichen und invasive Maßnahmen durchführen. Das muss jetzt in ein System inkludiert werden, das – rein rechtlich gesehen – ja eigentlich eine reine Transportleistung ist. Insofern sind das alles herausfordernde Zeiten. Die werden noch durch die auslaufende Covid-Pandemie, die Grippewelle in Herbst und Winter, aber auch das Auftreten des RS-Virus gerade bei Kindern verschärft.

Aus vielen anderen Städten hört man dann von sehr angespannten Lagen. In Düsseldorf soll es weniger schwierig sein. Woran liegt das?

Tremmel: Wir begegnen dieser Herausforderung hier damit, dass unsere Fahrzeuge und auch die unserer Partner vollständig besetzt sind. Wir haben alle im Bedarfsplan vorgesehenen Wagen täglich im Einsatz. Denn das verschärft das Problem noch mehr: Die ohnehin knappen Ressourcen werden noch deutlich stärker belastet. Demnach: Unsere Stärke ist unsere Stärke; heißt: wir halten die Fahrzeugbesatzung konstant hoch und können den Herausforderungen gut aufgestellt begegnen.

Gibt es noch weitere Punkte, die die Lage in Düsseldorf entschärfen?

Tremmel: Wir führen einmal im Monat Gespräche mit den Leitern der Notaufnahmen der Krankenhäuser über deren Auslastung und Besonderheiten. Beispielsweise wenn sich Einweisungen zu einem bestimmten Krankheitsbild häufen, die nicht richtig von uns eingeschätzt worden sind, können wir unmittelbar weiterleiten und es auch in der Rettungsschule direkt bei unseren Lernenden einbringen. Diese Schnittstelle zwischen Klinik und unserer Funktion als Prä-Klinik hilft ebenfalls enorm.

Gibt es auch Maßnahmen außerhalb des Standards?

Tremmel: Es gibt ein Pilotprojekt, das wir in Düsseldorf seit Anfang Dezember testen. Es gibt Einsätze, bei denen nicht wirklich der Rettungsdienst erforderlich ist. In der Altstadt sind zu Schwerpunktzeiten – also vor Feiertagen, am Wochenende und vor allem abends bis in die Nacht hinein – Fußtrupps eingesetzt. Das sind ganz normal ausgebildete Rettungsdienstmitarbeiter mit Equipment, die bei einem Einsatz als Art Vorauskommando eingesetzt werden. Die sollen dann schauen, ob sich das Bild bestätigt und tatsächlich die Nachforderung des Rettungsdienstes notwendig ist oder ob eine Vor-Ort-Behandlung ausreicht.

Und das funktioniert gut?

Tremmel: Erste Auswertungen zeigen, dass wir mit dieser Maßnahme 60 bis 70 Prozent der Einsätze vom Rettungsdienst weghalten können. Es gibt derzeit aber nur eine rein quantitative Auswertung – aber es scheint ein sinnvolles Vorgehen zu sein, um die Frequenz der Einsätze zu minimieren.

Immer wieder hört man inzwischen davon, dass der Rettungsdienst auch dann gerufen wird, wenn es eigentlich gar nicht erforderlich wäre. Gibt es da Ansatzpunkte, um das zu verhindern?

Tremmel: Wir begegnen dem auf verschiedenen Wegen. Notrufe werden über die 112 in unserer integrierten Leitstelle angenommen. Da führen wir jetzt ein standardisiertes Abfrageprogramm ein. Es wird eine Checkliste geben, die die Abfragen noch besser schärfen und Rechtssicherheit geben sollen.

Aber es bleibt schwierig, das telefonisch abzufragen?

Tremmel: Auf jeden Fall. Bei den Fußtrupps ist es deutlich einfacher – die haben den Patienten direkt vor Augen und führen eine Anamnese durch. Daher müssen wir alternative Vor-Systeme stärken, etwa den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst. Dazu sind wir in enger Abstimmung mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Da sind wir in einem von der Bundesvereinigung finanzierten Projekt, wie die beiden Systeme bestmöglich ineinandergreifen können – um so genannte Bagatelleinsätze zu vermeiden.

Systeme wie die Fußtrupps auch in anderen Bereichen zu etablieren stelle ich mir schwierig vor.

Tremmel: Das stimmt, aber auch hier gibt es Möglichkeiten. Der Leitstellendisponent steht vor der Frage: Schicke ich nichts und trage dann die Verantwortung oder schicke ich direkt die Notfallrettungsmittel? Dazwischen liegt eine große Spanne. Dieser Spielraum ist so noch nicht im Fokus gewesen. Hier ein Vor-System zu etablieren, das gerade für solche Bagatelleinsätze ausrücken könnte, wäre natürlich gut.

Wie lange könnte es dauern, das zu etablieren?

Tremmel: Dieses Vor-System ist eigentlich keine Leistung des Rettungsdienstes. Auch das Pilotprojekt in der Altstadt finanzieren wir derzeit aus eigenen Mitteln. Was es meiner Ansicht nach braucht, und von uns auf Landesebene bereits angestoßen wurde, ist eine Gesetzesnovellierung. Es bräuchte eine Experimentier-Klausel: Damit können solche Projekte ausprobiert und auch refinanziert werden. Denn natürlich kann man mit solchen Systemen Geld sparen. Aktuell wird das aber noch häufig abgelehnt, da es nicht in den Bereich des Rettungsdienstes fällt.

Vielen Menschen scheint die 116117 – also der kassenärztliche Bereitschaftsdienst – nicht so bekannt zu sein. Wie kann man das noch stärker bewerben?

Tremmel: Es muss dafür verstärkte Werbung geben – barrierefrei und sprachneutral. Da sind wir noch nicht so weit, wie wir gerne wären. Vor allem erreichen wir oft nicht die Menschen, die es betrifft.

Gerade bei Hilfsorganisationen wie Johanniter oder DRK ist die Einsatzspanne im aktiven Rettungsdienst durchschnittlich nur elf, zwölf Jahre lang. Wie sieht das bei der Feuerwehr aus?

Tremmel: Da muss man unterscheiden. Bei der Feuerwehr fahren wir hauptsächlich – also 80 bis 90 Prozent – Rettungsdienst. Feuerlöschen ist gar nicht so sehr die Hauptaufgabe. Dadurch haben wir aber die Möglichkeit, die Aufgabenbereiche weit aufzufächern. Die Kollegen fahren bei uns nach Ende der Ausbildung bis zu ihrem 50. Lebensjahr im Rettungsdienst. Das ist aber natürlich stark abhängig von der Einsatzfrequenz. Hilfsorganisationen haben da nicht die Möglichkeit, viel auszuweichen.

Eben waren wir an einem neuen Rettungswagen, von denen 54 Stück für Düsseldorf angeschafft wurden. Was ist daran besonders und neu?

Tremmel: Wir setzen auf technische Unterstützung. Die Trage ist jetzt elektro-hydraulisch, das verbessert die Ergonomie und vermindert die Belastung. Es gibt auch ein Raupensystem an einem Stuhl, der Treppen runterfahren kann, sodass das Tragen erleichtert wird. Solche Hilfen ermöglichen ein längeres Arbeiten im Rettungsdienst. Zudem ist der Wagen selbst aufgeräumter und hat eine bessere technische Ausstattung.

Wie hoch sind die Kosten für den Austausch der Fahrzeuge?

Tremmel: Ein Rettungswagen kostet ungefähr 200 000 bis 250 000 Euro (insgesamt rund 13,5 Millionen Euro). Da diese Wagen einer besonderen Belastung ausgesetzt sind, müssen diese regelmäßig ausgetauscht werden. Über 30 sind täglich im Einsatz, der Rest dient als Ersatz. Kürzlich haben wir auch neue Kleidung bekommen. Für diesen herausfordernden Beruf benötigt man die beste Ausrüstung.

Allgemein ist es ja gerade schwierig, diverse Medikamente in Apotheken zu bekommen. Merkt man das auch im Rettungsdienst?

Tremmel: Ja, das gibt es bei gewissen Medikamenten, dass es Nachlieferungsschwierigkeiten gibt. Teilweise kann man auf andere Präparate umsteigen oder wir sensibilisieren unsere Mitarbeiter im Umgang mit den Stoffen. Auch bei Materialien merken wir es, aber weniger stark. Dennoch hat es uns bisher noch nicht im laufenden Betrieb eingeschränkt.