Kolumne Ein Haus mit „Hurz!“
Düsseldorf · Stadt-Teilchen Unser Kolumnist weiß, welches Haus an der Worringer Straße Popgeschichte geschrieben hat.
Es gibt wenige Straßen in Düsseldorf, die es in Sachen Schmuddeligkeit mit der Worringer Straße aufnehmen können. Sie ist genau so wie man sich eine Straße in Bahnhofsnähe im Klischee vorstellt. Es ist laut, es ist dreckig, und die Autos, die durchflitzen, wirken ein bisschen, als könnten sie gar nicht schnell genug wieder weg sein.
Kürzlich ging es dann auch mal wieder sehr unschön rund um eines der Häuser. Genauer gesagt um das mit der Nummer 68. Dort wird wohl eine Art Hotel geführt, was dem Ordnungsamt so gar nicht gefällt, weil es den Betrieb als nicht genehmigt einstuft. Auf die angebotenen Räumlichkeiten stößt man schnell, wenn man bei den entsprechenden Portalen den Suchbegriff Worringer Straße eingibt. Mit drei Sternen werden die schmuck ausgestatteten Zimmer angepriesen, und die gezeigte Ausstattung steht in einem sehr krassen Missverhältnis zum äußeren Erscheinungsbild.
Von draußen wirkt das Haus, vorsichtig formuliert, ein wenig schmucklos. Es passt also in die Worringer Straße. Man könnte als Passant also weitergehen und möglichst schnell Land gewinnen, wüsste man nicht, dass die Worringer Straße 68 eben nicht nur ein öffentliches Ärgernis darstellt, sondern dass sie vielmehr ein Ort ist, an dem in einem Studio im Erdgeschoss lange Jahre Musik- und Fernsehgeschichte geschrieben wurde.
Natürlich ist die Worringer Straße 68 nicht vergleichbar mit den Kling-Klang-Studios an der Mintropstraße, wo einst Kraftwerk der Welt vorführten, wie elektronische Musik geht. Aber für den zweiten Rang in der Rubrik „Bedeutende Orte der jüngeren Popgeschichte“ könnte es schon reichen.
Man muss sich nur mal vor Ohren halten, welche Hits im Hause Worringer Straße 68 entstanden sind. „Das ganze Leben ist ein Quiz“ gehört dazu, „Witzischkeit kennt keine Grenzen“ ebenso, aber am nachhaltigsten klingt immer noch der Ruf nach, der einst in einen ruhigen Lyrik-Vortrag zweier befrackter Gestalten fuhr wie ein Blitz aus heiterem Himmel: „Hurz!“
Man kennt das als Teil der deutschen Fernsehgeschichte. Das, was Hape Kerkeling mit seinem musikalischen Partner Achim Hagemann in der Fernsehshow „Total normal“ präsentierte und zum Klassiker adelte, ist just hier entstanden in der Worringer Straße 68.
In der Regel steht Hape Kerkeling auf dem Cover, wenn man diese Titel hört, aber das musikalische Mastermind hinter dem großen Komiker hieß immer Achim Hagemann. Der hat an der örtlichen Musikhochschule Schlagzeug studiert und spielte dort viel Neue Musik, was sehr oft vier- bis fünfstündige Proben erforderte. Als er sich nun nach einer dieser Proben erschöpft mit Kerkeling in der Worringer Straße traf, keimte die Idee, das Besondere der Neuen Musik mal auf die Schippe zu nehmen. Man schrieb harmlose Worte, die von einem Knall abgelöst werden sollten. „Der Wolf / Das Lamm / Auf der grünen Wiese“, so ging es los. Das Wort für den klanglichen Blitz holten sich die beiden von einem Klingelschild im Hause 68. Dort stand ein Name, den sie für tauglich hielten „Hurtz“. Sie nahmen das T raus, und so war der Aufschrei „Hurz!“ geboren, den heute noch jeder kennt.
Ein Anruf in Berlin bei Achim Hagemann, der sich immer noch gerne an diese Begebenheit aus den frühen 90er Jahren erinnert und auch den Herrn Hurtz in höchsten Tönen lobt. „Ich habe den Herrn Hurtz sehr geschätzt, weil er sich nie über die Lautstärke aus meinem Studio beschwert hat“, sagt er, der lange Zeit auch in seinem Studio gewohnt hat. Erst als die Aufträge zahlreicher wurden und mehr Betrieb war, hat er gemerkt, dass es besser ist, Leben und Arbeit zu trennen.
Viele Filmmusiken sind in der Worringer 68 entstanden, unter anderem der Soundtrack zur Fernsehserie „Der kleine Vampir“. Und einmal war sogar Heinz Schenk, einer der berühmtesten Hessen, in der Worringer 68. Der sollte für den Kinofilm „Kein Pardon“ den Titel „Witzischkeit kennt keine Grenzen“ einsingen. Den hatte Hagemann geschrieben und sich als gebürtiger Nordrhein-Westfale um einen Text bemüht, der irgendwie hessisch klingen sollte.
Als Schenk dann im Studio stand, ging erst einmal alles schief. „Er hat es so schief gesungen“, erinnert sich Hagemann. Die Replik des großen Hessen bewies, dass er eine sehr eigene Realitätsauffassung pflegte. „Vielleicht ist etwas mit dem Mikrofon nicht in Ordnung“, sagte er und stapfte zurück zum Bahnhof, um heimzufahren. Mehrere Tage und Nächte brauchte Hagemann, um aus dem vorhandenen Tonmaterial einen brauchbaren Song zu machen. Die so entstandene Qualität hat sich später Schenk auf die Fahnen geschrieben. „Ich habe das quasi eingepfiffen“, verkündete er stolz, und Hagemann konnte sich dann ein gequältes Grinsen selten verkneifen.
Fast 20 Jahre war das Studio in Betrieb, bevor es Hagemann 2011 aufgab und nach Berlin zog. „Den Niedergang des Hauses habe ich nicht mehr erlebt“, sagt er.
Kurz bevor aber die Lichter ausgingen, erlebte die Worringer Straße 68 noch einmal eine Glanzzeit. Da wurden dort mehrere Folgen der Popolski-Show aufgezeichnet. Auf einmal war nur noch draußen Düsseldorf. Betrat man das Studio, wähnte man sich plötzlich im polnischen Zabrze. Zu tun hatte das mit der Geschichte von der angeblich polnischen Familien Popolski, deren Großvater angeblich alle wichtigen Hits der Popmusik geschrieben hatte, die ihm aber von ruchlosen Künstler gestohlen wurden. Hagemann erzählte das lustige Märchen in seiner neuen Rolle als Pawel Popolski und setzte auf die Wirkung von jeder Menge guter Laune und viel Wodka.
Regelmäßig herrschte eine sehr besondere Stimmung, wenn man vorgab, sich von Zabrze aus ins reguläre WDR-Programm gehackt zu haben und dann schräge Polkaversionen international berühmter Hits zu spielen.
Das Chaos auf die Spitze trieb man schließlich im Sommer 2009, als man den Stargeiger David Garrett in der Worringer Straße 68 zu Gast hatte und ihm anbot, seine mehrere Millionen Euro teure Geige für die Dauer der Produktion durch ein billigeres Modell zu ersetzen. Es gehe bei der Produktion sehr turbulent zu, und da wolle man das Instrument vor Schaden bewahren. Doch Garrett lehnte ab.
Auch der Vorschlag eines Technikers, einmal zu spielen und die anderen Einstellungen auf das Playback der ersten Version zu mimen, waren dem Geiger nicht genehm. Also kriegte er live. Plötzlich wogte das Wohnzimmer, plötzlich ging es in der Enge ganz hoch her. Jeder nahm die lustige Sache sehr ernst, und auf einmal war schweres Gedränge. Mittendrin die Millionen-Geige.
Richtig ans Eingemachte ging es allerdings erst, als sich dann auch noch die Tür zum Treppenhaus öffnete und 25 Bläser einmarschierten. Auf einmal war gar nichts mehr klar, und die Kameramänner verschwanden ebenso in der wild wogenden Menge wie der Stargeiger.
Zur Erleichterung aller hat die sündhaft teure Geige von Garrett keinen Schaden genommen. Dafür hat sich ihr Besitzer köstlich amüsiert. Mit einem seligen Lächeln verließ er danach den kuscheligen polnischen Plattenbau, der plötzlich doch wieder nur ein kleines Studio war, und landete erneut auf der schmuddeligen Worringer Straße.
So sind die Gegensätze im Leben. Man sollte darüber nachdenken, wenn man wieder mal über die Worringer Straße huscht. Und vielleicht hat man dann auch ein Gedicht dabei und rezitiert es kurz am Ort seiner Geburt: „Der Wolf / Das Lamm / Auf der grünen Wiese / Hurz!“