Ein Hof wird zum Sommerhaus für Maler
Die Online-Plattform Artpiq hat sechs Künstler nach Hubbelrath eingeladen. Wie groß ist ihr Potenzial? Ein Besuch.
Hof Lindenbeck in Hubbelrath, an der Grenze zu Mettmann. Umgeben von Feldern, Wiesen, Wäldern. Ein schmaler Schotterweg führt hinab zu dem Fachwerkhaus. Drei Stockwerke hoch, denkmalgeschützt. Nebenan liegt ein Gebäudekomplex, der einst Garagen und Ställe beherbergte. Davor erstreckt sich ein Garten mit Bäumen und einem Weiher. Etwas weiter hinten gluckert der Hasselbach vorbei. Die Luft flirrt, es ist still. Eine idyllische Gegend.
Seit Mitte August dient der ehemalige Hof als „Summerhouse“ für Künstler. Initiiert wurde das dreiwöchige Residenz-Projekt von Artpiq, einer Online-Plattform, die Nachwuchskünstlern den Einstieg in den Kunstmarkt erleichtern will. Sechs Maler gastieren auf dem Landgut. Kost, Logis und Arbeitsutensilien besorg(t)en Artpiq-Gründerin Katharina Wenzel-Vollenbroich und ihre Mitarbeiterin Janine Wixforth. Finanziert haben sie das „Summerhouse“ per Crowdfunding und mit Hilfe von Sponsoren. So kamen rund 5000 Euro zusammen.
Das Haus selbst gehört den Eltern von Katharina Wenzel-Vollenbroich. Dieses Engagement für Künstler ist vorbildlich. Die Gast-Künstler haben sich gegen rund 40 weitere Kandidaten durchgesetzt. Fünf Residenzler sind bei Artpiq gelistet. Alle leben in Großbritannien. Bis zum Monatsende werden sie Gemälde produzieren und dann vor Ort ausstellen. Die ehemaligen Garagen und Ställe haben sie zu Ateliers umfunktioniert, zwei Künstler teilen sich eins.
Einer von ihnen: der 23-jährige Bislacchi aus dem kalabrischen Cittanova. Vier Gemälde hat der Künstler mit der blauen Brille bereits kreiert, an zwei weiteren arbeitet er gerade. Jedes Bild leuchtet in einer Farbe: türkis, weiß oder kobaltblau. Die Farben mischt der Künstler selbst: aus Acryl und Pigment. Auf den Gemälden erheben sich aber auch Hubbel, Knäuel und Knoten. Sie ziehen sich durch die Mitte der Bilder: mal senkrecht, mal diagonal. Wie Gewächse, die den Gemälden entsprungen sind. Auch sie bestehen aus Leinwandstoff, die der Künstler zuvor zerknüllt, zusammengepresst oder gefaltet hat. Damit erweist sich Bislacchi noch als der experimentierfreudigste Maler auf dem Landgut. Er macht die Leinwand zum Objekt.
Bislacchi, der an der City and Guilds of London Art School studiert hat, lotet schon länger die Grenzen von Malerei und Bildhauerei aus. Die Gemälde in Hubbelrath sind Teil einer Serie namens „Flowing“ - inspiriert von der Umgebung. „Sie erinnert an den Fluss des Wassers, etwa an den Bach dort. Die Bilder leben mit dem Ort. Das gefällt mir hier so sehr“, sagt Bislacchi.
Düsterer geht es in den Gemälden von Ellie Walker zu, die sich das Atelier mit Bislacchi teilt. Sie wimmeln von deformierten Menschen. Als ob sie in ihre Körperteile zerlegt und danach wieder willkürlich zusammengesetzt wurden. Die Köpfe sind nur schemenhaft schraffiert. Da führt sich ein krüppelartiges Wesen einen Becher an den Mund, neben ihm ein halber Oberkörper ohne Kopf, in der Mitte zerschnitten. Dazwischen hingesudelte Flächen in Grün, Weiß, oder Schwarz. Die 23-jährige Walker, die ihren Abschluss an der Brighton University absolvierte, collagiert Erlebnisse oder Erinnerungen zu neuen Erzählungen. Sie könnten aus Alpträumen oder aus traumatischen Erlebnissen stammen, die an sich Interesse wecken.
Doch Walkers Bilder wirken so, als hätte sie ein Kind gemalt: ungelenke Figuren, kreuz und quer hingepinselte Flächen. Ein Malstil, der bewusst naiv sein soll. Funktioniert aber nicht, weil die Szenen statisch wirken und jegliche Spannung verpufft.
Ähnliches gilt für den 20-jährigen Billy Parker im Atelier nebenan. In seinen Gemälden geraten nackte Männer in ein kurioses Miteinander. Da versucht etwa einer den anderen im Regen zu küssen. Die Figuren sind schemenhaft, glatzköpfig, erinnern an Aliens. Als Vorlage nutzt Parker selbst geknipste Fotos von betrunkenen Menschen. „Weil sie dann Dinge tun, die sie sonst nicht tun würden, das interessiert mich“, so der Student der Slade School of Fine Arts. An sich reizvoll, doch seine Figuren erinnern eher an missratene Körper-Studien, wodurch ihnen jegliches Leben entrissen wird.
Auf der anderen Seite des Ateliers malt die 24-jährige Millie Kelly. Ihr Studium am Wimbledon College of Art hat sie vor drei Jahren abgeschlossen. Die Welten, die sie mit Öl auf Leinwand bringt, sind knallbunt und kitschig. Die Perspektiven kippen. In einem Park ragt eine Fontäne aus roten, grünen, gelben und blauen Luftballons in die Luft. Könnten aber auch Kondome sein. Über die Rasenflächen sind Badetücher verstreut. Auf manchen liegen Menschenfüße in der Sonne. Ein Entenpaar stolziert mit seinen Küken vorbei. Am Horizont fährt ein rosa Eiswagen heran.
Das mag Assoziationen an heitere Sommertage in Parks wecken. Aber richtig gefangen nimmt einen diese Bildwelt nicht, dafür erschließt sie sich zu schnell.
Ebenfalls bunt und positiv, aber abstrakt sind die Gemälde der 31-jährigen Seoulerin Sin Park. Ein verschlungenes Dickicht aus roten Krakenarmen, blauen und braunen Seilen, weißen Netzen, Palmenblättern oder rosa Blumen. Park, die am Royal College of Art ausgebildet wurde und nun ihren Doktor an der Glasgow School of Fine Art macht, kombiniert eigene Erinnerungssplitter mit Naturbeobachtungen, etwa Bewegungen von Bäumen. Doch Park überfrachtet ihre Bilder mit so vielen Elementen, dass sie sich die Luft zum Atmen nehmen und so zum Dekor erstarren.
Bleibt noch Goia Mujalli aus Rio. Die 32-Jährige, die am Royal College of Art in London studierte, kreiert abstrakte Gemälde. Eins zeigt gelbe und rote Pfeilspitzen, gekreuzt von hellblauen und pinken Balken. In Pfeilrichtung bewegen sich lauter linsenartige Gebilde in Gelb oder Pink. Farben und Formen überlagern sich. Mujalli will Rhythmus und Vibration spürbar machen. Doch sie scheitert. Die Farben und Formen erzeugen vielmehr Disharmonie.
Bei dem Residenz-Projekt, aber auch bei Artpiq selbst wird ein Problem deutlich. Fünf der Summerhouse-Künstler sind in der Netz-Galerie vertreten. Um dort aufgenommen zu werden, setzt Artpiq ein Studium an einer Kunsthochschule voraus. Doch die Werke der Residenzler in Hubbelrath sind insgesamt unterdurchschnittlich. Das Studium an einer Kunsthochschule macht noch lange keine guten Künstler.