Porträt „Es gibt keine schwer erziehbaren Kinder“
Düsseldorf · Michael Riemer, Manager und Sozialpädagoge des Kinderhilfezentrums, geht in den Ruhestand und blickt zurück.
Michael Riemer hat 42 Jahre im Kinderhilfezentrum gearbeitet. Nun, da er seinen Schreibtisch räumt, hält er Rückschau: „Das war für mich kein Arbeitsplatz, sondern es war meine Lebensmitte. Ich fand es großartig. Ich habe mit den Kindern gelitten und gelebt. Und zu vielen dieser Ehemaligen habe ich noch immer Kontakt.“ Der diplomierte Sozialarbeiter und Sozialmanager hat den Marketingbereich aufgebaut, den Anna-Spielplatz belebt, den Freundeskreis als Geschäftsführer neu aufgestellt und den Vorstand der Stiftung mitbetreut. Eine positive Energie geht von diesem Mann aus. Wir sprachen mit ihm.
Als er 1977 an der Eulerstraße anfing, hatte er einen Arbeitsvertrag über 52 Stunden und alle zwei Wochen Wochenenddienst. Das wäre heute undenkbar. Er fand es „großartig“. Der Urlaub mit den jungen Leuten sei noch keine „Ferienmaßnahme“ gewesen. Eine Arbeitszeitregelung wie heute kannte er nicht. Nach Feierabend gab es immer noch viel zu tun. Riemer sagt: „Ich habe an den Kindern und an der Gruppe gehangen. Ich habe den Bereich mit älteren Jugendlichen betreut. In der Wohngemeinschaft habe ich hundert Nachtdienste gemacht.“
Heute arbeiten die Kollegen intensiv mit den Eltern zusammen
Früher hieß es im Volksmund: „Einmal Heim, immer Heim“. Vater und Mutter sahen den Nachwuchs einmal im Monat und brachten bergeweise Süßigkeiten mit. Heute geht das alles nicht mehr. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz ist gut strukturiert. Michael Riemer erzählt: „Als ich anfing, gab es praktisch keine Elternarbeit. Es gab einen Raum, in dem zehn Eltern mit ihren Kindern saßen. Die Eltern kannten die Gruppen nicht. Das war für alle Parteien eine missliche Situation.“
Heute ist das alles anders. Es gibt jedes Wochenende Besuchsmöglichkeiten. Die Kollegen arbeiten intensiv mit den Eltern. Und wer mit den Kindern etwas unternehmen will, muss ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis haben. Riemer: „Das ist alles sehr vernünftig. Aber es ist auch komplizierter geworden für Leute, die mit den Kindern etwas unternehmen wollen. Heute gibt es das Ehrenamt und die Patenschaften im Kinderhilfezentrum praktisch gar nicht mehr. Manchmal finde ich das ein bisschen schade.“
Die familiären Probleme sind die gleichen geblieben. Entweder wenden sich die Eltern ans Jugendamt, oder das Jugendamt wird über Schule oder Kindergarten informiert. Sobald das Kind in der Eulerstraße eingetroffen ist, wird gemeinsam überlegt, was dem Kind gut tut und wie die Familie wieder zusammenleben kann. Riemer meint allerdings, bei manchen Familien funktioniere es einfach nicht und die Kinder werden im Kinderhilfezentrum volljährig. Aber wo es Chancen gibt, finde sehr viel Elternarbeit statt.
Riemer weiß aus Erfahrung: „Eltern sind immer präsent bei den Kindern, selbst wenn schlimme Sachen passiert sind. Kinder, denen es zu Hause nicht gut ging, fühlen sich oft sogar schuldig, dass sich die Eltern getrennt haben oder nun trinken. Gegebenenfalls müssen die Kinder mit therapeutischer Unterstützung ihr Selbstwertgefühl entwickeln.“
Jedes Kind bringt seine eigene Problematik mit. Wer die erkennt und darauf eingeht, hat kein schwer erziehbares Kind vor sich. Für Riemer ist klar: „Schwer erziehbare Kinder gibt es nicht. Wenn wir mit ihnen losziehen, fallen wir dadurch auf, dass die Kinder nicht auffallen. Sie sitzen am Tisch und essen ordentlich, weil wir miteinander leben.“
Die Flüchtlingswelle hat dem Kinderhilfezentrum viele Menschen mit Migrationshintergrund beschert. In manchen Gruppen ist von neun Kindern nur eins in Deutschland geboren. Konflikte, die im Glauben oder in der Herkunft begründet sind, gibt es nicht. Riemer: „Die Integration ist sensationell.“