Stadtteilchen Fragen wie diese: In welchen Gassen spielt der Gassenhauer der Hosen?
Düsseldorf · Kolumne: Unser Autor Hans Hoff hat sich Gedanken über den größten Rock-Schlager der Düsseldorfer Kultband gemacht.
Neulich sind mir mal wieder die Toten Hosen begegnet. Also nicht in echt, sondern in Form ihres wohl größten Hits „Tage wie diese“. Das ist jene populäre Weise, die einst Volker Kauder nach einem Wahlsieg für die CDU als Jubelarie „sang“, was dem Vernehmen nach den Hosen so gar nicht recht gewesen ist, weil solch eine Melodie allen und nicht nur einer Partei gehören soll. Jeder Düsseldorfer kennt das Lied, hat es tausendmal gehört und in seiner DNA gespeichert. Tage wie diese. Wenn gegrölt werden soll, dann so richtig zünftig mit den Hosen.
Auch ich konnte diesem Schlager meist nicht ausweichen, aber jedes Mal, wenn ich ihn gehört habe, zuckte ich bislang zusammen. Ich kenne das aus der Oper. Ich bin dort immer ein Fremdkörper, weil ich Oper weder verstehe noch mag. Trotzdem merke ich bei meinen für die Ehehygiene notwendigen Zwangsaufenthalten dort sofort, wenn im Orchester oder auf der Bühne irgendeiner patzt. Ich kann dann nicht sagen, wer der Falschspieler war, aber ich spüre an einem Zucken im Magen, dass da etwas schief gelaufen ist. Man kann sich auf meine Intuition sehr gut verlassen. Wenn es bei mir zuckt, stimmt was nicht.
Bei „Tage wie diese“ zucke ich stets ob der ungelenken Pennäler-Lyrik, die sich da breit macht. In der zweiten Strophe heißt es: „Durch das Gedränge der Menschenmenge / bahnen wir uns den altbekannten Weg / Entlang der Gassen, zu den Rheinterrassen / Über die Brücken, bis hin zu der Musik.“
Das ist jetzt nicht falsch, aber trotzdem zucke ich stets zusammen, wenn Sänger Campino sich wieder mal seinen Weg bahnt „entlang der Gassen“. In meiner Gedankenwelt geht man entlang eines Flusses, entlang einer Linie, aber nicht entlang einer Gasse, die ja per Definition ein Weg mit sehr enger Bebauung ist. Ja, man könnte sagen: „Gehen Sie da entlang, durch die Gasse.“ Das ist nicht falsch, aber schön klingt für mich irgendwie anders.
Allerdings ist mein Problem mit „entlang“ nicht das einzige. Ich bin auch jedes Mal verwirrt, wenn ich den Weg rekonstruieren möchte, den Campino da geht. Wenn ich das richtig verstehe, dann spielt die Handlung des Liedes ja in Düsseldorf, weil die Hosen ja von hier sind. Wenn man sich nun also in Düsseldorf durch eine Menschenmenge im Gedränge einen altbekannten Weg bahnen möchte, kommt einem gleich die Altstadt in den Sinn. Auf der Bolkerstraße gibt es Gedränge, wenn nicht gerade ein Virus die Räume klein macht, aber da würde ich die Hosen eher nicht verorten. Traditionell stelle ich mir das natürliche Habitat eines Tote-Hosen-Mitglieds immer auf der Ratinger Straße vor. Tue ich das aber, dann kommt dem Text die innere örtliche Logik abhanden.
Bahnt man sich nämlich seinen Weg von der Ratinger Straße zu den Rheinterrassen, kommt man, wenn man denn unbedingt durch eine Gasse muss, zwangsläufig nur durch die Ursulinengasse. Die ist nämlich zwischen Ratinger Straße und Rheinterrassen die einzige vorhandene Gasse. Im Text steht aber Gassen. Im Plural.
Ich gehe also im Rahmen meiner kleinen oberlehrerhaften Exegese eher davon aus, dass sich die Hosen zu Beginn des Liedes auf der Kurze Straße befunden haben mögen. Bolker Straße kann und will ich mir in diesem Zusammenhang tatsächlich nicht vorstellen. Zu prollig, zu krawallig dort, selbst für die Hosen.
Da liegt die Kurze Straße doch schon näher. Da gibt es Lokale, in denen man sich die Hosen Bier trinkend vorstellen kann. Also nicht die Hosen von heute, aber die von früher auf jeden Fall.
Plötzlich stimmt es dann wieder mit den Gassen. Wer von der Kurze Straße zu den Rheinterrassen will, nimmt die Mertensgasse, die Liefergasse und dann die Ursulinengasse, dann runter zum Rhein und nordwärts zum Treffpunkt. Ja, so könnte es gemeint sein in diesem Gassenhauer der besonderen Art, der ja nicht nur das Lied jener ist, die zu dunkler Stunde das früher oft kopfsteinige Pflaster betreten, sondern in seiner Volkstümlichkeit längst auch die Herzen solcher Menschen erobert hat, die schon früh ins Bett gehen.
In dem Zusammenhang fiel mir bei einem Ortstermin auf, dass die Gasse im urbanen Kontext wohl zur eher bedrohten Art gehört. In der Altstadt gibt es da immerhin noch so einige. Neben den bereits erwähnten hätte ich noch die Kapuzinergasse, die Mühlengasse, die Josef-Wimmer-Gasse, die Müller-Schlösser-Gasse im Angebot, und natürlich die berühmteste aller Düsseldorfer Gassen, die Schneider-Wibbel-Gasse.
Will man noch mehr enges Terrain erkunden, muss man nach Kaiserswerth, wo Stifts-Gasse, Schleifergasse und Stockhausgasse von einstiger Enge künden. Jenseits davon wird die Suche schwer. In Angermund lässt sich noch die Alte Gasse ausfindig machen, und in Unterbilk windet sich die Reichsgasse wie eine Art Blinddarm ganz kurz durchs zugebaute Viertel zwischen Fürstenwall und Kniebrückenauffahrt.
Das gute Dutzend weist auf schwindende Bedeutung der Gasse hin. Kaum jemand hat es noch mit Gassen. Darüber täuschen auch nicht die Bemühungen hin, bei Stau auf der Autobahn immer eine Rettungsgasse freizuhalten und dann auf Retter zu warten, die durch diese hohle Gasse kommen sollen. Nein, Gasse ist nicht modern, Gasse ist von gestern. Heute lebt man im Quartier, in Höfen oder sonst wie neumodisch betitelten Wohnanlagen.
Über die Brücken
und im Kreis gelaufen
Dabei ist jeder Gang durch eine Gasse ein bisschen wie der Rücksturz in eine ganz alte Zeit. Die Vorstellung, was hier einst passierte, wie die Menschen dicht an dicht lebten, wie Privatsphäre als eine eher relative Angelegenheit verhandelt wurde, das erzählt mehr über die Stadt von früher als es so mancher Geschichtsband könnte.
Insofern sei den Toten Hosen gedankt für ihren Gassenhauer. Es sei ihnen das ungelenke „entlang“ verziehen, weil sie das Scheinwerferlicht immer wieder richten auf den Umstand, dass es eben auch ein Düsseldorf gab vor diesem Düsseldorf.
Ungeklärt bleibt für mich dann aber trotzdem noch die Frage, warum sich Campino den Weg durch die Gassen zu den Rheinterrassen bahnt, wenn er doch „über die Brücken“ will, weil der Ort, wo er mit seiner Begleitung hinstrebt, wo man sich gemeinschaftlich Unendlichkeit wünscht, offenbar auf der anderen Seite liegt. Warum wird hier der Plural Brücken verwandt? Wie kann man über Brücken gehen, um zu einem Ort auf der anderen Seite zu gelangen? Wenn ich über die Theodor-Heuss-Brücke gehe und dann über die Oberkasseler Brücke, dann bin ich fast wieder da, wo ich losgegangen bin. Wo liegt da der tiefere Sinn?
Wahrscheinlich sind das aber nur Denksportaufgaben, die von der Flingeraner Kapelle gestellt werden. Hosenlyrik statt Sudoku. Gehirnjogging mit Ex-Punks. Ideal zum Grübeln beim Gassi gehen an Tagen wie diesen.