Hans Hoff betrauert den Verlust diverser Straßen in Düsseldorf Früher Straße, heute das große Nichts

Düsseldorf · Unser Kolumnist betrauert den Verlust diverser Straßen in der Stadt.

Hier begann einst die Langobardenstraße.

Foto: Hans Hoff

Das ehemalige Innenministerium soll demnächst abgerissen werden. Es heißt, der alte Gebäudekomplex mache Platz für neue Ministerialbauten. In dem Zusammenhang schreckt mich das Begriffspärchen „alte Gebäude“, weil ich die Gegend noch kenne, als dort weder von Innen noch von Ministerium die Rede war. Es muss in den 60er Jahren, in meiner Erinnerungskultur also quasi vorgestern, gewesen sein, als die Kniebrücke noch nicht den kurzen Weg nach Oberkassel öffnete. Damals lebte mein Schulkumpel Frank auf dem Gelände, auf dem später das nun schon wieder alte Innenministerium entstehen sollte.

Frank wohnte an der Deichstraße, die zwischen Kavalleriestraße und Neusser Straße verlief. Ich weiß noch, wie Frank umziehen musste, weil sein Haus abgerissen wurde und Platz zu machen hatte für jenen Klotz, der unförmiger nicht hätte ausfallen können und der in der Beliebtheitsskala der Düsseldorfer Bauten mit ziemlicher Sicherheit gute Chancen hätte, den allerletzten Platz zu erobern. Niemand dürfte weinen, wenn demnächst abgerissen wird, was architektonisch niemals schön war. Was immer dort entsteht, es kann nur schöner sein als das, was jetzt noch ist.

Zwar hat es das Innenministerium einst geschafft, die vorher dort stehenden Häuser von der Stadtkarte zu scheuchen, aber die anliegende Deichstraße blieb immerhin dem Namen nach noch eine Weile erhalten, wenn sie auch weitgehend nutzlos wurde. Erst später entfernte man sie dann ganz von der Bildfläche. Heute führt dort die Straße in den Rheinufertunnel, geblieben ist ein schmaler Fußgängerweg. Die Deichstraße ist weg.

Sie reiht sich damit ein in die Reihe verschwundener oder minimierter Straßen und Plätze, denen in der Regel nur wenige nachweinen. Die Menschen konzentrieren sich halt eher darauf, neue Straßen in neuen Quartieren anzulegen und sich dafür neue Namen auszudenken. An jene, die hinfort gespült wurden von ambitionierten Projekten der Stadtplanung, denkt kaum jemand. Bloß ich.

Kürzlich stand ich mal wieder an meiner Haltestelle am Jan-Wellem-Platz. Ich wartete auf die Linie 6, die mich nach Bilk bringen sollte, aber ich wartete vergeblich. Das liegt vor allem daran, dass es den Jan-Wellem-Platz und die Linie 6 nicht mehr gibt. Es gibt den Jan-Wellem-Platz schon noch, allerdings ist er in der Form, in der er präsentiert wird, nicht einmal mehr ein Schatten seiner selbst.

Was waren das doch für Zeiten, als der Jan-Wellem-Platz eine nicht durchweg schöne, aber doch große Weite ausstrahlte. Im Westen der Tausendfüßler, im Norden der Hofgarten, mittendrin die Gleise und die Busschleifen, obendrüber viel Himmel und im Westen das Schreibwarengeschäft Hennig, das nicht einfach ein Geschäft war, sondern ein großartiges Universum, in dem sich alles um Papier, Stifte und Malkram drehte. Man konnte dort eintauchen, teure Füller bestaunen, Papier riechen, Lineale kaufen oder einfach nur schauen. Eine Stunde dort zu bummeln, vom Eingang an der Schadowstraße bis zum Ausgang am Jan-Wellem-Platz, war überhaupt kein Problem. Die Zeit verging in diesem wundersamen Reich einfach schneller, und wenn man wieder vor die Türe kam, war man der sicheren Überzeugung, den Laden doch eben erst betreten zu haben.

Ich stand dann oft auf dem Jan-Wellem-Platz und war regelrecht beseelt vom Erlebten. Leider wollte sich dieser Zustand so gar nicht einstellen, als ich mich nun auf die Suche nach meinem Jan-Wellem-Platz machte.

Dort, wo ich früher auf die Bahn gewartet habe, steht nun der so genannte Kö-Bogen. Für mich ist der immer noch mehr Monstrum als architektonisches Meisterwerk. Ich fürchte, in 50 Jahren wird man lesen, dass der Kö-Bogen abgerissen wird, um etwas Ansehnlicherem Platz zu machen. Ich kann mich mit dem Kö-Bogen einfach nicht anfreunden. Mir ist, als habe das Monstrum Kö den Jan-Wellem-Platz gefressen und liege nun immer noch da, die Beute verdauend, fett und bräsig. Ich gönne den Geschäften ihren Umsatz, und die Terrassen zum Hofgarten hin sind eine nette Einrichtung, aber Freunde werden ich und das Monster nimmer mehr.

Ich habe den Jan-Wellem-Platz dann doch noch gefunden. Es ist mir aber nur mit Hilfe der offiziellen Stadtkarte gelungen. Die weist den Jan-Wellem-Platz am nordöstlichen Ende des Monsters aus, also dort, wo in der Regel nichts bis gar nichts los ist. Es ist ein sehr trauriger Ort, nach meiner Ansicht hätte man ihn auch gleich gänzlich von der Karte tilgen können. Halbwegs ist das schon gelungen. Kein Schild sagt dort, dass man auf dem Jan-Wellem-Platz steht. Man steht auf einem großen Nichts. Bei der Google-Suche hat man die Verhältnisse konsequenter abgebildet. Da steht an der Stelle, wo die Stadt den einst großen Platz zum mickrigen Platzhalter degradiert, einfach nichts. Wie wohl der einst große Regent das fände?

Ein großes Nichts ist inzwischen auch die Langobardenstraße. Deren Name hat keineswegs, wie man vielleicht denken könnte, mit hochgewachsenen Sängern zu tun. Der Sage nach könnte bei der Erfindung des Namens eine Rolle gespielt haben, dass die Herren des Stammes lange Bärte trugen, aber historisch überzeugend belegt ist das wohl nicht. Auf jeden Fall waren die Langobarden ein Völkchen, das zur Wanderschaft neigte und den Römern das Leben nicht leicht machte.

Für mich war die Langobardenstraße nichts weiter als eine Abkürzung. Weil ich am Merowingerplatz wohnte und oft zur Kopernikusstraße musste, um dort mein Schwesterchen im Kindergarten abzuliefern, war die von der Merowingertraße zum Südring führende Langobardenstraße der Weg der Wahl. Ich kann nicht sagen, dass es eine schöne Straße war. Im Prinzip verdiente sie in meinen Augen den Namen Straße nicht.

Eher war es ein staubiger, nicht asphaltierter Weg, der beidseitig berankt war von riesigen Brombeerbüschen, hinter denen sich ein paar Gärten befanden. Kurz vor dem Südring waren die Ausläufer der Schrottplätze zu spüren, die das Gelände bis zur Ulenbergstraße einnahmen und ein gefährliches Pflaster waren, weil sich dort allerhand Typen rumtrieben, denen man besser nicht begegnete. Zumindest nicht im Dunkeln. Heute endet auf dem Areal die Münchner Straße.

Irgendwann, als die 80er Jahre sich anmeldeten und die Fleher Brücke fertig wurde, ist die Langobardenstraße dann sang- und klanglos verschwunden und hat Platz gemacht für jene Autos, die seither vom Düsseldorfer Süden und von der Fleher Brücke in die Stadt streben. Ich habe das nicht weiter bemerkt, ich habe aber sehr genossen, dass auf einmal nicht mehr Stau war auf der südlichen Merowingerstraße und der Chlodwigstraße und der Himmelgeisterstraße. Dort, wo sich morgens und nachmittags täglich Auto an Auto reihte, wo man sich von Rußwolken bis nach Wersten, Himmelgeist und Benrath tragen lassen konnte, herrschte auf einmal himmlische Ruhe.

Das war auch für mich ein schöner Tausch, weshalb meine Trauer um die Langobardenstraße eher übersichtlich ausfiel. Man muss halt auch mal Opfer bringen.