Kultur in Düsseldorf Heydenreich, der global Player für Cranach

Ein Interview mit dem besten Kenner des deutschen Renaissance-Malers, der die Weltkunst an den Rhein bringt.

Foto: Dénes Józsa

Düsseldorf. Gunnar Heydenreich (51) kam als Gemälderestaurator nach Düsseldorf und wurde 1995 stellvertretender Leiter des Restaurierungszentrums. Doch in der Freizeit pendelte er nach London, um am berühmten Courtauld Institut über Cranach zu promovieren. Inzwischen Professor in Köln, organisiert er die Cranach-Ausstellung und platziert die Weltkunst im Kunstpalast. Wir sprachen mit dem besten Kenner des deutschen Renaissance-Malers.

Sie arbeiten mit 250 wichtigen Museen der Welt zusammen. Wie gelang Ihnen das?

Heydenreich: Ein interdisziplinärer Ansatz war wichtig. Ich wollte die Trennung zwischen Kunsthistorikern, Restauratoren und Naturwissenschaftlern überwinden. In England war das einfacher als in Deutschland, wo die Restauratoren oft als Handwerker der Wissenschaftler galten, die ihnen die Bilder putzen. An der Tate Gallery, wo ich volontiert habe, waren schon in den 1990er Jahren Naturwissenschaft, Konservierung und Kunstgeschichte enger miteinander verknüpft. Londoner Institutionen wie die National Gallery setzten Maßstäbe, wie man Bilder tiefer ergründet.

Wie wird man 500 Jahre alten Bildern gerecht?

Heydenreich: Wir sehen nicht nur das, was Cranach geschaffen hat. Die Farben haben sich verändert, Restauratoren haben Eingriffe vorgenommen. Wenn man all das weiß, kann man die Bilder besser interpretieren.

Sie begründeten ein digitales Archiv. Wie kam es dazu?

Heydenreich: Das Getty Museum in Los Angeles kaufte ein Bild von Cranach an, das jetzt in der Ausstellung hängt, und lud mich 2007 für drei Monate ans Getty Research Institute, wo ich mich intensiv mit Cranach beschäftigte. So kam der Kontakt zur Andrew W. Mellon Foundation zustande, die Verbundprojekte zur digitalen Erschließung von Kunstwerken fördern wollte. Cranach war dafür prädestiniert, er ist weltweit vertreten. Eine internetbasierte Datenbank, die frei verfügbar ist, war das Ziel.

Ist das Archiv abgeschlossen?

Heydenreich: Nein. Es werden soeben wieder hundert Werke frei geschaltet, dann sind wir bei 1600 Werken. Die Mellon Foundation fördert noch bis 2018. Wir arbeiten an der Fortsetzung des Projektes.

Wie kam es nach Düsseldorf?

Heydenreich: Das ist Kulturdezernent Hans-Georg Lohe zu verdanken. Als 2009 die Gelder über Mellon bewilligt wurden und ich zugleich den Ruf nach Köln bekam, fragte er mich, was er tun könnte, um das Projekt in Düsseldorf zu halten. Mein Vorschlag war, es ans Museum anzugliedern.

Inwiefern?

Heydenreich: Das Museum hält die Infrastruktur, also ein Büro für unser Team und die Serverkapazität bereit. Die Daten speichern wir über die hiesige zentrale Datenbank d-kult ein, um sie anschließend in die Online-Datenbank zu stellen.

Wie wurden Sie zum Manager dieses Großprojekts?

Heydenreich: Von Anfang an machten große Museen in Dresden, München, Berlin, Wien, London und New York mit. Soeben gewannen wir St. Petersburg als Partner.

Wie gingen Sie vor?

Heydenreich: Wir haben in acht Jahren über 1000 Gemälde selbst vor Ort untersucht! Wir waren viele tausend Kilometer mit einem bis zwei Kombiwagen für die Technik unterwegs. Wir fertigten in Kirchen, kleineren Museen und Häusern hochauflösliche Abbildungen und Infrarotreflektografien an, denn die infrarote Strahlung dringt tiefer in die Materie ein und kann die Zeichnungen unter der Malerei sichtbar machen. Der erste Entwurf, den der Maler aufgebracht und mit Farbe abgedeckt hat, liefert eine wichtige Hilfestellung bei der Interpretation der Werke. Cranach hat oft lockerer gearbeitet als andere, hat die Komposition weiter entwickelt. Es gibt aber auch Werke, wo die Zeichnung durchgepaust ist.

Was war typisch für seine Handschrift?

Heydenreich: Er war ein souveräner Zeichner. Er konnte Dinge erfassen und zweidimensional wiedergeben, ohne sich sklavisch an eine anatomische Gerechtigkeit zu halten. Er schöpfte aus der Eleganz von Konturlinien. Er arbeitete sehr zügig. Gerade in der Unterzeichnung war er wesentlich schneller und lockerer als Dürer. Dürer folgte dem Anspruch des italienischen Renaissance-Ideals, dass anatomisch alles perfekt korrekt sein muss. Cranach war der Modernere.

Was ergab sich aus den Röntgenfluoreszenzanalysen?

Heydenreich: Wir konnten vermeintliche Kopien als echte Werke erkennen, mussten aber auch Werke abschreiben. Cranach verwendete nicht nur die gängigen Pigmente, sondern auch Farben, die er in Leipzig auf der Messe nicht erwerben konnte, wie Ultramarin aus dem Hindukusch, das er vermutlich 1509 nach einer Reise in den Niederlanden erstmals benutzte.

Haben Sie ein Aha-Erlebnis, zum Wohle von Cranach?

Heydenreich: Ich bin in Sachsen-Anhalt aufgewachsen. Da ist Cranach in vielen Kirchen präsent, so dass man schon als Kind nicht an ihm vorbei kam. Ich bin in Haldensleben geboren, nördlich von Magdeburg. Das ist nicht weit von Wittenberg entfernt. Dort lässt sich das alles noch erleben. Damals hatte die Stadt etwa 2000 Einwohner. Noch heute ist die Atmosphäre zu Cranachs Zeiten zu erleben. Sollte Luther tatsächlich die 95 Thesen an die Schlosskirche geschlagen haben, so kann man sich vorstellen, dass er auf dem Weg dahin an Cranachs Tür klopfte, um sich einen Hammer zu leihen. Dass in diesem kleinen Wittenberg Ideen geboren wurden, die unsere Welt veränderten, in der Bildung, im Bild der Frau etc., das fasziniert mich noch immer.