Igor Levits weite Welt der Variationen

Der Pianist gastierte mit Bach, Beethoven und Rzewski.

Foto: Susanne Diesner

Der in Russland geborene und in Hannover aufgewachsene Pianist Igor Levit ist erst 30 Jahre alt und schon bei den Königsdisziplinen angekommen. Ein großes, rätselhaftes Alterswerk Ludwig van Beethovens, die 33 Veränderungen über einen Walzer von Diabelli, kurz: „Diabellivariationen“, spielt er mit einer Reife, als hätte er sich über Jahrzehnte mit dem Opus Magnum auseinandergesetzt.

Beim Klavierfestival Ruhr vereinte der Freund von Vollständigkeit an zwei Abenden drei große Variationswerke. Neben Beethoven erklangen Johann Sebastian Bachs Goldbergvariationen und 36 irrwitzige pianistische Abwandlungen des chilenischen Widerstands-Liedes „Das vereinte Volk wird niemals besiegt“ durch den US-amerikanischen Komponisten Frederic Rzewski (geboren 1938).

Levits Leistungen nötigen großen Respekt ab. Rzewskis Variationen sind technisch äußerst schwierig, Bach verlangte analytische Klarheit ohne Kompromisse, und Beethovens letztes großes Klavierwerk sperrt sich jeder naiven Herangehensweise. Der berühmte Alfred Brendel spielte die Diabellivariationen ein Pianistenleben lang und fand erst mit Mitte 60 zu einer wirklich plastischen und anregenden Interpretation. Levit legte bereits im Alter von 28 eine CD-Einspielung vor, deren musikalische Wissenstiefe einfach verblüfft. Und jetzt beim Konzert im Robert-Schumann-Saal konnte er diesen Eindruck noch mal verstärken.

In einem Gespräch vor ein paar Jahren erzählte Levit, dass er mit dem bedeutenden Münchner Musikkritiker Joachim Kaiser (der vor einer Woche 88-jährig gestorben ist) über die Diabellivariationen diskutiert habe. Kaiser, der alle Klavier-Granden mit dem Werk erlebt hatte, soll vor Levits Konzert seiner Skepsis, nach dem Konzert aber seiner Begeisterung über Levits jugendliches Wagnis Ausdruck verliehen haben.

Nun ging er es erneut ein, machte dabei Ecken und Kanten der Musik deutlich, das Kauzige, Witzige, aber auch das Erhabene und Kosmische. Er erwies sich als eine Art Restaurator, der feinste Staubschichten von einem Gemälde entfernt, um Farben und Details erkennbar zu machen, die im Verborgenen geschlummert hatten.