In Bilk ist der Bart ab, in Flingern ist er voll
Mit den Bärtchen von Düsseldorf ist keine Kaperfahrt möglich
Düsseldorf. Früher war die Sache für Männer klar. Wer mit auf Kaperfahrt wollte, musste einen Bart tragen. Männer ohne Bärte waren keine. Ich habe das nie so richtig verstanden und irgendwann dann den Schluss gezogene, dass der Verzicht auf Gesichtskörperpflege einhergeht mit erhöhter Aggressivität. Wer sich nicht rasieren muss, hat mehr Kraft zum Kämpfen. Ich habe das dann auch auf die Taliban bezogen und auf Osama Bin Laden, auf jeden Fall auf Menschen aus fernen Erdteilen.
Dann aber kam der Bild-Chefredakteur aus dem Kalifornienpraktikum zurück und sieht seitdem auch aus, als wolle er sich gleich in den Höhlen von Tora Bora verschanzen. Doch nicht nur der. Auch hierzustadt ist der Bart im Kommen. Immer mehr Männer tragen einen, vor allem junge.
Ich rede hier nicht von leichtem Flaum, nicht von einem gepflegten Klobrillen- oder Hausmeisterbärtchen rund um den maskulinen Vokalauslass. Ich rede von richtig vollen Bärten, von Haargestrüpp, in dem man problemlos das nächste Dschungelcamp veranstalten könnte und dann noch Angst haben müsste, dass die Kandidaten darin verloren gehen.
Allerdings ist mir aufgefallen, dass der volle Bart ein Biotop braucht. Er wächst nicht überall. In einer sehr persönlich geprägten Studie, für die ich etliche Cafés frequentieren musste, habe ich herausgefunden, dass Flingern derzeit offenbar den besten Nährboden für Bärte bietet. Wer sich abends rund um die Ackerstraße vergnügt, begegnet so vielen Bärten, dass der Schluss naheliegt, es handele sich um ein sehr kreatives Viertel.
Der Bart braucht nämlich, so viel ist mir klargeworden, die Kreativität des Trägers, um sprießen zu können. Indes ist noch nicht belegbar, ob nun der Mann den Bart wachsen lässt, weil er kreativ ist, oder ob der Bart dem Mann erst die Kreativität verleiht. In Bilk müsste man eigentlich auch viele Bärte antreffen. Dachte ich. Uninähe und so. Doch in Bilk ist der Bart eher ab, oder er war nie dran. In Bilk pflegt man ein bisschen haarige Mundumrandung, und das ist es dann auch.
Wer im Hafen viele Bärte vermutet, liegt falsch. Vor allem früh morgens. Bärte sind um halb acht am Erftplätzchen ungefähr so häufig anzutreffen wie der Eisvogel im Kö-Graben. Erst gegen Mittag gibt es das eine oder andere Exemplar zu bestaunen. Das mag ein Hinweis darauf sein, dass in den umliegenden Büros weniger kreativ, sondern vor allem administrativ gewirkt wird. Wenn so ein Vollbart über die Bilanzen fegt, das macht sich nicht gut.
Sehr hoch ist die Bartdichte dann wieder in der Kunstakademie, was ganz klar meine These belegt, dass das Tragen von viel Haar im Gesicht auf erhöhten Erfindungsreichtum hinweist, selbst wenn meine Theorie, dass so ein Bart auch als Pinselersatz taugt, ein bisschen weit hergeholt scheint.
Noch sind aber nicht alle Geheimnisse rund um den Bart gelöst. Die Frage, warum Bart Simpson mit nacktem Gesicht ins Fernsehen darf, ist ebenso unbeantwortet wie jene, die wissen will, warum der ZZ Top-Schlagzeuger zwar Frank Beard heißt, aber im Gegensatz zu seinen Kollegen keinen nennenswerten trägt.
Eines aber ist mir bei meiner kleinen Feldstudie klargeworden. Mit den Bärten von Düsseldorf ist keine Kaperfahrt möglich, denn aggressiv sind Männer mit viel Bart höchst selten. Vielmehr zeichnen sie sich durch eine erhöhte Sanftmut aus. Schafft man es, trotz der Gesichtshecke einen Blick in ihre Augen zu erhaschen, bleibt meist der Eindruck eines sehr lieben, beinahe schüchternen Wesens zurück. Insofern wäre so manchem Düsseldorfer, dem gerade Wahlkampfwallungen die Röte ins glatte Gesicht treiben, ein bisschen mehr Bart durchaus zu gönnen.