Interview mit Erhard Treutner „Menschen entdecken, dass es sich mit weniger Konsum gut leben lässt“

Der Mitbegründer der Benrather Nachhaltigkeitsinitiative sieht in der Pandemie eine Chance für einen gesellschaftlichen Wandel.

Erhard Treutner ist Initiator der Initiative für Nachhaltigkeit.

Foto: RP/Dominik Schneider

Herr Treutner, als ehemaliger Professor für Soziologie und engagierter Klimaschützer beobachten Sie im Augenblick die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Mensch, Gesellschaft – und Umwelt. Wie ist ihr Eindruck?

Erhard Treutner: Tatsächlich verändern die Auswirkungen der Pandemie das Verhalten vieler Menschen aus ökologischer Sicht zunächst einmal positiv. Durch das Homeoffice sind weniger Autos auf den Straßen, der Luftverkehr ist stark eingeschränkt, war teils fast komplett ausgesetzt. Es gibt weniger Geschäftsreisen, wir haben in Düsseldorf 20 bis 30 Prozent mehr Radverkehr. Es gibt weniger Konsum, auch und vor allem im Textil-Bereich. Gerade der Trend zu schnell wechselnden und kurzlebigen Kollektionen ist ressourcenintensiv. Dass die Menschen weniger einkaufen, ist erstmal positiv.

Werden diese Veränderungen im Verhalten denn auch nach Corona fortbestehen?

Treutner: Ich denke teilweise schon, wenn auch in abgeschwächter Form. Viele Menschen, das hoffe ich zumindest, entdecken in dieser Zeit, dass es sich auch mit weniger Konsum und Reisen gut leben lässt.

Stichwort Reisen: Die Freizeitgewohnheiten der Menschen haben sich ja auch gezwungenermaßen gewandelt.

Treutner: Trotz allem Bedauern, das hat auch seine guten Seiten. Die Menschen entdecken die heimische Natur wieder – in der Urdenbacher Kämpe und im Himmelgeister Rheinbogen ist viel mehr los. Zwar verhalten sich einige Menschen nicht so, wie man es in einem so wertvollen Naturraum tun sollte, aber allein die Tatsache, dass sie diese Landschaften kennen und schätzen lernen, kann zu mehr grünem Bewusstsein beitragen.

Nun gibt es aber auch negative Folgen der Corona-Einschränkungen für die Umwelt.

Treutner: Das ist richtig. In den Privathaushalten ist der Energieverbrauch gestiegen, der ÖPNV hat weniger Fahrgäste. Das wird aber nach Ende der Pandemie Schnee von gestern sein. Auch der Versandhandel verzeichnet massive Zunahmen – und diese Zahlen könnten auch nach Corona auf einem hohen Niveau bleiben, fürchte ich.

Und die Krise ist teuer, der Staat muss an vielen Stellen investieren. Geld, das andernorts fehlt – auch beim Klimaschutz?

Treutner: Vielleicht. Aber das Bundesverfassungsgericht hat ja die Bedeutung ökologischer Politik und Wirtschaft betont, die Maßgaben des Klimaschutzes verschärft. Das hat Folgen auf allen Ebenen der Gesellschaft – bis hinunter ins Lokale. Dadurch kann vieles teurer werden – Autofahren, Reisen, Konsum. Das müssen die Menschen mittragen. Mit einer neuen Einstellung, die auch durch Corona begünstigt wird, kann das gelingen.

Wie sähe diese Einstellung aus?

Treutner: Ich würde mir wünschen, dass die Menschen ein anderes Verständnis von Wohlstand entwickeln, soziale Kontakte mehr zu schätzen wissen und allgemeinen einen sparsameren und umweltschonenderen und bewussteren Lebensstil annehmen.

Wie kann das vermittelt werden?

Treutner: Auch hier können wir aus der Pandemie lernen. Die Verknüpfung von Politik und Wissenschaft, die Information der Gesellschaft sie gemeinsam – das könnte die Einstellung der Leute ändern. Wir haben gelernt, wie wichtig und wirksam zentrale, bekannte Experten sind – ich würde mir beispielsweise eine regelmäßiges Infoformat im Fernsehen wünschen – „Umwelt vor acht“ – wie es eine Initiative schon fordert.

In dieser Entwicklung spielen Verzicht und Solidarität eine große Rolle.

Treutner: In der Pandemie haben die jungen Menschen – obwohl bei ihnen schwere Verläufe als weniger wahrscheinlich gelten – Rücksicht auf die ältere Bevölkerung genommen. Bei der Klima-Frage muss es umgekehrt sein. Die älteren Menschen, die nicht mehr mit den Folgen des Klimawandels werden leben müssen, müssen sich mit den Generationen nach ihnen solidarisieren. Das wird nicht ohne weiteres passieren, wir müssen mit Widerständen in einem Teil der Bevölkerung gegen die notwendigen Maßnahmen rechnen.

Dazu braucht es auf Aufklärung auf lokaler Ebene – wie etwa durch ihre Benrather Initiative für Nachhaltigkeit.

Treutner: Richtig. Wir setzen uns dafür ein, die Menschen vor Ort zu informieren und die ökologisch aktiven Vereine, Gruppen und Personen zu vernetzen.

Geht das in Zeiten der Kontaktbeschränkungen?

Treutner: Ehrlich gesagt, kaum. Wir setzen von Anfang an auf direkten Kontakt, und das ist im Augenblick einfach nicht möglich. Wir planen allerdings, so bald wie möglich unsere Arbeit wieder aufzunehmen – zum Beispiel mit unserem Infostand und dem Aufstellen eines Bücherschranks in der Benrather Fußgängerzone. Hoffentlich sind die Menschen dann auch bereit, sich auf das Thema Klimaschutz einzulassen. Langfristig muss umweltbewusstes Handeln so zum Alltag gehören wie im Augenblick die AHA-Regel.

Denken Sie, dass Corona tatsächlich eine positive Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes bewirkt.

Treutner: Ich will nicht blauäugig sein, aber ich bin verhalten optimistisch. Wir sehen schon heute, am Beispiel der Corona-Krise, dass die Menschen lernen und ihr Verhalten ändern können. Das kann den Weg in eine klimagerechte Zukunft weisen. Er mag schwer und mit Kosten verbunden sein, aber es gibt langfristig keine Alternative.