„Kritik ist ein Zeichen des Vertrauens“
Auf direktem Weg aus der Talentschmiede für Schauspieler kamen zwei Freunde ans Schauspielhaus.
Wer das Max-Reinhardt-Seminar mit Erfolg abgeschlossen hat, ist im Theaterbereich meist ein gemachter Mann, eine gemachte Frau. Ob als Schauspieler oder Regisseur. Denn die Wiener Hochschule galt und gilt heute noch im deutschsprachigen Raum als eine der renommierten Talentschmieden für Darsteller und Theatermacher. „Davon wussten wir nichts, als wir die Aufnahmeprüfung machten“, berichten Stefan Gorski (26) und Andrei Viorel Tacu (30).
Zwei der mittlerweile nicht mehr neuen Gesichter im Schauspielhaus-Ensemble, die 2016 mit Wilfried Schulz an den Rhein kamen, machen im WZ-Gespräch keinen Hehl daraus: „Als Jugendliche hatten wir von dem Beruf wenig Ahnung, sahen fast nur Filme, träumten wie alle von großen Kinoschlagern und sahen vor dem Studium noch nie ein Theater von innen.“ Die beiden sind gute Freunde. Das spürt man schnell. Sie sprechen vorsichtig, wirken auf der Bühne authentisch, auch wenn sie exaltierte Charaktere darstellen. Hinter der Bühne sind es eher nachdenkliche Typen, die Zweifel hegen, über Sehnsucht nachdenken, als Jugendliche gerne Astronauten geworden wären und sich fragen, wohin es sie eines Tages verschlagen wird. Vielleicht ja auch zum Film. Sie scheuen sich nicht, den anderen unverblümt zu kritisieren, empfinden Kritik „nicht als Anmaßung, sondern als Zeichen des Vertrauens“. Viele Inszenierungen beurteilen sie ähnlich und galten schon während des Studiums als unzertrennbares Duo. Drei Jahre teilten sie sich in Wien eine WG. In Düsseldorf hat jeder seine eigenen vier Wände. Gorski im Zentrum, Tacu indes auf einem Bauernhof in Rath.
„Sag’, was Du denkst!“ ermuntert Tacu den jüngeren Gorski, der manchmal fragend zu seinem früheren Kommilitonen schaut. Dann: „Ich bin ein Romantiker,“ gesteht Gorski. Dazu zu stehen, habe er im Seminar gelernt. Warum sie häufig auf einer Wellenlänge schwimmen? „Das liegt vielleicht an unserer Herkunft“, sagt Tacu, der in Bukarest geboren wurde, in der Schweiz aufwuchs und vor dem Wiener Schauspielstudium in Zürich BWL und Philosophie studiert hatte. Beide kämen sie aus einfachen Verhältnissen. Stefan Gorski, Sohn polnischer Einwanderer, in Wien geboren und aufgewachsen, hat zwei Muttersprachen — und wurde kürzlich gar für einen Drehtermin in Warschau engagiert.
Als sich Gorski und Tacu 2012 in der zweiten Aufnahmerunde im Max-Reinhardt-Seminar kennenlernten, beschnupperten sie sich zunächst. „Wir zeigten uns von der Schokoladenseite, gebärdeten uns als Machos und taten so, als wären wir sehr cool.“ Doch dann hätten sie — durch ihre Lehrer (viele davon gehören zum Ensemble der Wiener Burg) — kapiert: „Auf der Bühne geht es nicht um Verstellung, sondern um Demaskierung.“ Enthüllung, das sei das Wichtigste für Schauspieler.
Das vereint sie auch mit Evgeny Titov, einem Schauspieler aus St. Petersburg, der zur gleichen Zeit in Wien ein Regie-Studium begann. Titov verpflichtete die beiden 2014 für seine Hochschul-Inszenierung „Das Schlangennest“ (von Copi) im Akademietheater der Burg. In dem Stück, in dem es um Selbstfindung und Sexualität unter Jugendlichen geht, spielten Tacu und Gorski ein schwules Paar. Wurden von Kritik und Publikum gefeiert und zum Theatertreffen der Schauspielschulen in Bochum eingeladen. Unter den Zuschauern: Robert Koall, der als künftiger Chefdramaturg auf der Suche nach neuen Gesichtern für das Düsseldorfer Ensemble war. „Koall lud uns zum Vorsprechen ein. Danach bekamen wir einen Drei-Jahres-Vertrag. Und das noch vor unserem Abschluss in Wien.“ Seitdem stehen sie an manchen Abenden gemeinsam auf der Bühne. Zufällig, wie sie sagen. In „Romeo und Julia“, „Stützen der Gesellschaft“ und „Hexenjagd“. Letzteres inszeniert von Titov, dessen Talent ebenfalls von Koall entdeckt wurde.
Die meiste Zeit aber treten sie in verschiedenen Produktionen auf. Gorski als jugendlicher Liebhaber Ben im David-Bowie-Musical „Lazarus“. Da beweist er im Song „All the young dudes“, dass er auch ganz gut singen kann. Seine Lieblingsrolle derzeit aber: Mephisto im „Faust (to go)“. „Ich konnte die Rolle so gestalten, wie ich wollte“, schwärmt er. Er habe nicht die Legende Gründgens recherchiert, sondern sei seinem Instinkt gefolgt.
Tacu indes steht am kommenden Samstag als Solano in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ auf den Brettern. Ein Typ aus einer Boygroup, der mit Geschlechterklischees spielt. Ob man das Stück heute noch brauche? Tacu: „Ja, es geht um Machtstrukturen, Gleichbehandlung, vielleicht auch um Vergebung und ein offenes Miteinander.“ Und was sagen die beiden Wiener, die eines Tages gerne auch Filme drehen würden, zu Düsseldorf? So richtig zu Hause fühlen sie sich nach anderthalb Jahren noch nicht. Was fehlt am meisten? „Die Cafés und die Atmosphäre in alten Kaffeehäusern, in denen man noch rauchen darf.“