Feuilletönchen – Die Kulturkolumne Architektur: Vielleicht eine neue Gründerzeit?
Düsseldorf · Unser Kulturredakteur denkt in der heutigen Kolumne über ein architektonisches Phänomen nach, das ihn sehr an die Gründerzeit erinnert.
Über den Begriff „Gründerzeit“ und dessen von Betrachtungswinkel zu Betrachtungswinkel changierenden Bedeutungsebenen ließe sich trefflich in aller Ausführlichkeit diskutieren. Ich möchte hier aber dieses Wort in einer etwas breiteren vielleicht weniger scharf gezeichneten Weise nutzen. Denke ich an Gründerzeit-Viertel, so denke ich an meist historistische Bauten, die nach geschichtlichen Vorbildern, meist aber sich an „Hocharchitektur“ – also jene, die für Staat und Herrscher geschaffen wurde – ausrichtend, entworfen wurden. Nicht selten aber nur rein äußerlich die „gute alte“ zugleich „gute reiche“ Architektur imitieren, um den Erbauern und den Bewohnern das Gefühl zu geben, fast – aber eben nur fast – so zu wohnen wie die Herrschaften aus den früheren Jahrhunderten.
Bei aller Kritik, die man dieser mit Stuck und Co verzierten Architektur vorwerfen kann, ist sie heute begehrter denn je. Sie strahlt eine Großzügigkeit aus: hohe Decken, liebevoll von Handwerkskünstlern gefertigte Details, mischen sich mit großstädtischem Flair zu einer nostalgisch-romantischen Anmutung. Auch wenn viel Fassade war und das Klo nicht selten auf halber Etage ungeheizt auf die Bewohner wartete – und das war noch die Luxusvariante –, so entstanden in diesem Stil zu einer Zeit des Bau-Booms, die Antlitze europäischer Städte, mal mit jenem kleinen Einfluss, mal mit diesem. Kriege haben die homogenen Stadtteile zum Teil aufgebrochen, viele Häuser wurden von besonders findigen Eigentümern „zu Tode renoviert“; aber so ist nun mal der Lauf der Dinge.
Heute befinden wir uns in einer Zeit, die rein architektonisch dieser Phase europäischer Kulturgeschichte gar nicht so unähnlich ist. Wir haben einen Bau-Boom, haben bisweilen ganze Straßenzüge, die in einem Geist gebaut wurden, und die Häuser bedienen sich nicht selten übereinstimmender stilistischer Mittel. Jene sind nicht mehr wie damals von den herrschaftlichen Palästen abgekupfert, sondern von der Stilsprache großer Architekten. Simple Massenbauten – manchmal nach Schema-F – camouflieren sich mithilfe von plastik-unterfütterten Fassaden als minimalistische Avantgarde. Ganze Viertel entstehen in Düsseldorf neu und werden unser Stadtbild lange prägen. So wie die Gründerzeit-Viertel ihrerzeit. Und damals wie heute ist nicht alles Gold was gebaut wurde und gebaut wird. Und doch, man darf gespannt sein, unter welchem Namen die heutige Bauwelle in die Geschichte eingehen wird.