Asphalt-Festival Theater-Tour macht Gräuel der Reichspogromnacht nachfühlbar
Düsseldorf · Asphalt-Festival Theaterkollektiv „Pièrre.Vers“ lässt an historischen Orten die beklemmenden Ereignisse aufleben.
Klaviermusik dudelt. Auf den Tischen steht Apfelstreusel-Gebäck. Daneben Pfefferminztee. Gemütlich ist die Atmosphäre im Frühstücksraum des Hotel Max Brown. Gäste von heute und einige in Kleidern der 1930er Jahre. Hier, an der Ecke Marien-/ Kreuzstraße, war früher das Café-Restaurant Markus, in dem Jüdische und nichtjüdische (vermutlich christliche) Düsseldorfer ein- und ausgingen. Bis zum 9. November 1938. In der Nacht zum 10. November änderte sich alles. Fensterscheiben klirrten, Mobiliar und Kunstobjekte wurden zerstört, flogen aus den Fenstern, Menschen jüdischen Glaubens wurden von wütenden Nazi-Schergen halbtot geschlagen. Es war die Pogromnacht oder „Kristallnacht“, wie die Leute damals sagten. Eine Bezeichnung, die heute viele als Verharmlosung der Gräueltaten des braunen Mobs betrachten. Einige Einzelschicksale aus dieser Nacht beleuchtet jetzt das Theaterkollektiv „Pièrre.Vers“ in einer abwechslungsreichen Zeitreise und an historische Orte in Innenstadt-Vierteln, in denen in den 1920er und 1930er Jahren die Quote von jüdischen Anwohnern besonders hoch war. Und deshalb die Gestapo heftig zuschlug.
Ausgangs- und Treffpunkt der Performance „Schwarz-helle Nacht“, die Christof Seeger-Zurmühlen in Szene setzte, ist das Hotel Max Brown. Hier schlürfen die Zuschauer Tee, Schauspieler schlüpfen in die Rollen von Düsseldorfer Juden, deren Leben sich in dieser Nacht schlagartig veränderte. Lesen aus Briefen vor oder aus Erinnerungen von Überlebenden. Einige Mimen verteilen Zettel während des Rundgangs (über Bismarck-, Ost-, Grupello-, Karl- und Graf Adolf-Straße) in der Pose von ruppigen Gestapo-Offizieren „Geheime Fernschreiben“ vom 9. und 10. November, in denen sie Festnahmen von Juden anordnen. Die Figuren sind nicht frei erfunden, sondern die Silbersteins, Horns oder Lewys. Die Straßennamen entsprechen historischer Realität.
Packend, hautnah und mit reduzierter Mimik gespielt von wandlungsfähigen Darstellern wie Nora Pfahl, Julia Dillmann, Alexander Steindorf, Christof Seeger-Zurmühlen und Düsseldorfer Stadtbewohnern. Durch sie werden Pogromnacht und ihre Folgen (im gesamten „Deutschen Reich“) lebendig – am Beispiel unserer Stadt und unserer Vorfahren. Die Mahn- und Gedenkstätte machte dieses bewegende, streckenweise beklemmende Doku-, Geschichts-, und Wanderprojekt (teilweise mit dem Bus) möglich. Es ist jetzt zu erleben im Rahmen des Asphalt-Festivals, im Herbst beim Düsseldorf-Festival. Aus Gedenkstätten-Archiven, einer wahren Fundgrube für jüdische Schicksale, wählten Seeger-Zurmühlen und Juliane Hendes Materialien zu Betroffenen und Überlebenden aus und skizzieren in kurzen Szenen ihren Weg von Flucht und Rückkehr bis in die 1980er Jahren.
Mit Kopfhörern ausgestattet machen sich die Teilnehmer, eskortiert von Schauspielern und Laiendarstellern, auf den Weg. Letztere ziehen summend mit weiß-gelben Martins-Laternen vorüber. Wie 1938: es waren die Tage, in denen damals singende St. Martins-Züge durch Straßen wandelten. Eine Station: Grupellostraße 6 und 8. Hier wohnten einst die Familien Kahn und Horn. Die einen verloren Hab und Gut, andere hatten Glück, blieben verschont. Vor den Häusern stehen Karren mit Möbel, Bettgestelle und Kunstgegenstände. Immer wieder ist die Rede davon, dass die braunen Schergen Klaviere (Flügel) aus dem Fenster warfen. Man steht vor dem Haus, sieht die Fenster in der dritten Etage. Und stellt sich die Szene plastisch vor.
Grupellostraße 18 – die Gruppe besucht die heutige Bewohnerin in der ersten Etage, eine Künstlerin, die von aktuellen Schwierigkeiten im heutigen „Maghreb-Viertel“ erzählt. Besonders einprägsam Dora Diskin, die 1938 auf der Harkortstraße wohnte, nach Israel fliehen konnte und 1985, auf Einladung von Oberbürgermeister Klaus Bungert die alte Heimat besuchte. Ein älterer Herr erinnert sich, wie er 1985 der betagten Frau Diskin die Hoftür öffnete, sie sich plötzlich an Details von 1938 erinnerte und bleich wurde. Die Finalrunde geht mit dem Bus über Hüttenstraße in Richtung Kasernenstraße – dort, wo 1938 die Synagoge stand, die die Nazis niederbrannten. Dora Diskin äußert in einem Brief 1985 an Düsseldorfs OB ihr Entsetzen über das Handelsblatt-Gebäude an dem Platz der Synagoge. Und über den „dreckigen, schwarzen Stein“ davor. Als Mahnmal, so Diskin, hätte sie sich, obwohl keine gläubige Jüdin, einen leeren Platz gewünscht, der an die Synagoge erinnern könnte.
„Schwarz-helle Nacht“, am 16., 17., 19. ab 18 Uhr, 20. Juli ab 14 Uhr. Treffpunkt/Beginn: Hotel Max Brown, Kreuzstraße 19a. (Tickets 13 bis 26 Euro) Tel: 33 99 00 44, mehr Infos im Netz unter: