Britten-Premiere: Zu lange Dämmerung im Hotel-Foyer
Karaman inszeniert Benjamin Brittens letzte Oper „Death in Venice“ und bietet den Zuschauern wenig zum Schauen und viel zum Hören.
Düsseldorf. „Der Tod in Venedig“ ist Thomas Manns feinsinnigstes Seelenepos. Hochauflösende Stimmungsbilder und Ansichten der zerrissenen Gefühlswelt im Innern des fiktiven Schriftstellers Gustav von Aschenbach halten den Leser der Novelle in Atem. Die Geschichte: Ein reifer Literat sucht im mediterranen Zauber der Lagunenstadt und des Lidos Erholung von der eigenen künstlerischen Verspanntheit, gerät aber stattdessen in tödlichen Konflikt zwischen bürgerlicher Lebensordnung und der ausufernden Sehnsucht nach einer unmöglichen Liebe.
Der englische Komponist Benjamin Britten verwandelte 1973 die Erzählung in eine englischsprachige Oper. „Death in Venice“ nimmt fast alle Motive der Vorlage auf. Heraus kam ein dichtes, fast überfrachtetes Stück, das sich kaum inszenieren lässt. Schon ein Jahr nach der Uraufführung beim englischen Aldeburgh Festival war Brittens letzte Oper bereits in Düsseldorf auf der Bühne. Jetzt versuchte sich Immo Karaman, einer der fantasievollsten und geistreichsten Regisseure der Rheinoper, an dem dreistündigen Werk.
Viel Glück hatten Karaman und sein Bühnenbildner Kaspar Zwimpfer, die mit „Death in Venice“ den Düsseldorfer Britten-Zyklus abschließen, diesmal nicht. So viel Suggestivkraft ein Einheitsbühnenbild noch bei „The Turn of the Screw“ entfaltete, hier verbreitete es ein wenig Langeweile. Zu sehen ist ein gediegenes Hotelfoyer des frühen 20. Jahrhunderts, also aus der Entstehungszeit der Thomas-Mann-Novelle. Der Blick des Zuschauers trifft ins getäfelte Innere des feudalen Strand-Hotels „Des Bains“ — und muss dort ewig hängen bleiben. Denn auf verschiedene Bildprojektionen, mit der die alte Düsseldorfer Produktion die Wechsel zwischen Hotel, Strand und Stadt visualisierte, verzichtete das jetzige Team. Stattdessen werden rote Teppiche aus- und wieder eingerollt und Wände auf- und abgefahren. Das sägt mehr an den Nerven als sie zu kitzeln.
Die stumme Rolle des polnischen Adel-Knaben Tadzio ist kaum passend zu besetzen. Was dem italienischen Filmregisseuren Luchino Visconti 1971 mit der Auswahl des damals 15-jährigen Schweden Björn Andrésen so einmalig gelang, scheint unwiederholbar: Die Figur, die Aschenbach zugleich ästhetisch und erotisch verwirrt, ist androgyn und in der Schwebe zwischen Kind und Mann. Mit dem polnischen Ballett-Schüler Denys Popovich erleben wir nun einen adrett gescheitelten Burschen im weißen Anzug, der mit einem — Achtung Symbolik! — roten Ball spielt. Ein solcher Hüpfer taugt nicht zum Todesengel.
Den stärksten Eindruck hinterlässt Tenor Raymond Very in der Hauptrolle des Gustav von Aschenbach. Er ist stimmlich und darstellerisch der Rolle des großbürgerlichen Schriftstellers voll gewachsen, auch wenn er von der kräftigen Statur her ein wenig zu gesund wirkt. Den überreizten Asketen nimmt man ihm denn doch wieder nicht ganz ab. Unterdessen ringt er der vokal undankbaren Partie ein paar schöne Kantilenen ab. Britten war ja kein Meister der Arie, weswegen die Partie klingt wie eine karge Reihung von Rezitativen. Die musikalischen Reize liegen mehr im Orchesterpart, der das Schaukeln venezianischer Gondeln durch akzentuierte Streicherpassagen und die Sirenenwirkung des Tadzio auf Aschenbach mit glitzerndem Glockenspiel illustriert. Unter der Leitung des Dirigenten Lukas Beikircher bringen die Düsseldorfer Symphoniker die Partitur oft eindrucksvoll zum Leuchten. Viel Beifall im nicht ganz ausverkauften Opernhaus.