Interview mit Demis Volpi „Hatte Rückhalt, um kreativ zu bleiben“

Interview | Düsseldorf · Der Ballett-am-Rhein-Direktor spricht nach seiner ersten Spielzeit über seinen Start in Düsseldorf, Konkurrenzkampf und Kritiken.

In der Deutschen Oper am Rhein ist Demis Volpi der Ballettchef.

Foto: Anne Orthen (orth)

Sie spielen aktuell vor vollem Haus mit 2G-Regeln und Maskenpflicht am Platz. Haben Sie trotzdem Sorge, dass die Oper wegen Corona wieder geschlossen wird?

Demis Volpi: Ich hoffe, dass es uns erspart bleibt. Es ist das erste Mal, dass so ein gewisser Schwung zurückkehrt. Ich habe den Eindruck, das Publikum beginnt, sich auf unsere Vorstellungen einzulassen.

Wie ist die Stimmung
bei den Tänzern?

Volpi: In der ersten Dezemberwoche vor dem Bund-Länder-Beschluss haben sich viele Gedanken gemacht. Dass die Theater- und Opernhäuser aufbleiben, war für uns eine tolle Nachricht, der Tanz braucht die Energie des Publikums.

Sie sind im ersten Jahr der Pandemie gekommen. Wie schwierig war der Start?

Volpi: Ich bin im Februar 2020 von Berlin nach Düsseldorf gezogen. Anfangs fand ich es schwierig, dass ich mich kaum austauschen konnte. Es war mitten im ersten Lockdown. Aber nach und nach konnte ich die Dinge entdecken, die Compagnie hatte ich direkt vor der Tür. Inzwischen bin ich froh, dass mich die Pandemie hier erwischt hat. In diesem Rahmen hatte ich die notwendigen Strukturen und den Rückhalt, um kreativ bleiben zu können.

Haben Tänzer besonders unter den Kontaktbeschränkungen gelitten, weil kein gemeinsames Training möglich war?

Volpi: Ich finde, man sollte Leidensdruck nicht quantifizieren. Jeder muss für sich herausfinden, was möglich ist. Wir sind alle kreative Menschen.

Können Sie sich an ein Erlebnis erinnern, nach dem Sie gesagt haben: Jetzt bin ich angekommen.

Volpi: Es gab ein Erlebnis, aber es war kein großer theatralischer Moment. Bei den Bühnenproben zu „Geschlossene Spiele“ lief einmal alles schief. Da gab es diesen tollen Moment, dass wir uns mit der technischen Abteilung und der Compagnie zusammengesetzt haben, um es durchzustehen, und ich wusste, ich kann mich auf sie verlassen.

Im harten Lockdown war die Compagnie in sechs Gruppen mit maximal je acht Tänzern und Abstandsauflagen eingeteilt. Im Sommer, vor der nächsten Spielzeit, gab es ein Fitnessprogramm, das mit der Medizinerin Larissa Arens entwickelt wurde. Wie trainieren die Tänzerinnen und Tänzer jetzt?

Volpi: Die komplette Compagnie ist geimpft oder genesen. Im Augenblick wird viel geprobt. Für ein zusätzliches Fitnessprogramm bleibt da keine Zeit, aber wer möchte, kann jederzeit Pilates, Gyrotonic oder PBT (Progressive Ballet Training) zum Aufbau der Innenmuskulatur machen.

Wie viele Stunden Training brauchen die Tänzer, um fit zu sein?

Volpi: Das ist individuell sehr verschieden. Für manche reicht eine Stunde am Tag. Der eine muss viel dehnen. Der andere braucht mehr Kardio-Training.

Die Compagnie hat 45 Tänzerinnen und Tänzer, 25 davon sind neu. War es schwierig in der Corona-Zeit, sich als Truppe zu finden?

Volpi: Anfangs konnten sich die Tänzerinnen und Tänzer nur in kleinen Gruppen treffen. Erst im Mai dieses Jahres haben sich alle kennengelernt. Bis dahin haben sich einige tatsächlich nie tanzen sehen. Aber inzwischen hat sich da eine gute Dynamik entwickelt.

Es gibt nur Solisten in der Compagnie. Wie groß ist da der Konkurrenzkampf?

Volpi: Wir haben bewusst auf hierarchische Strukturen verzichtet. Im Prinzip kommt jeder für jede Rolle in Frage. Jeder kann ein Solo übernehmen. Das schützt auch vor der Gefahr, Menschen zu sehr bestimmten Rollen zuzuordnen. In erster Linie steht jede Tänzerin und jeder Tänzer sozusagen in Konkurrenz mit sich selbst.

Es gab Ballettkenner, die im „Nussknacker“ den Pas-de-Deux von Prinz und Zuckerfee vermisst haben. Warum haben sie mit dieser Tradition gebrochen?

Volpi: Der Pas-de-Deux mit der Zuckerfee ist – ganz praktisch – entstanden, um der zweiten Solistin des Theaters einen Auftritt zu verschaffen. Mir geht es um erzählendes Tanzen. Es soll auch die Handlung voranbringen und nicht allein eine Stimmung wiedergeben. Ich möchte, dass das Stück von innen heraus wächst. Der Tanz soll die Sprache sein. Es gibt in unserem „Nussknacker“ viele andere Pas-de-Deux.

Es gab für Ihre ersten Düsseldorfer Stücke nicht nur positive Kritiken. Trifft Sie das?

Volpi: Kunst braucht verschiedene Wahrnehmungen und Meinungen. Ich muss dem folgen, was in meinem Empfinden notwendig ist. Ich bin zu konzentriert in der Sache, als dass es mich wirklich treffen würde. Negative Kritiken können auch gut sein für die Arbeit. Zynische Kommentare würde ich aber ausnehmen; sie disqualifizieren sich selbst. In Stuttgart war es beispielsweise oft so, dass die Leute nach einer schlechten Kritik erst recht ins Theater gegangen sind, um sich selbst eine Meinung zu bilden. Es gibt aber auch nur einen Ausweg, der Kritik zu entgehen, und das wäre: nichts tun. Das kommt für mich allerdings nicht in Frage.

Ist es Ihnen schon gelungen, einen direkten Draht zum Publikum aufzubauen?

Volpi: Leider kann ich die Zuschauer oft nicht direkt ansprechen. Ich hatte aber auch schon sehr schöne Begegnungen im Foyer. Ich möchte jeden ermutigen zu uns zu kommen, aus Neugier und nicht abzuwarten, was andere vielleicht darüber sagen.