Ausstellung zu Agnes Scherer „Notebook Simulations“: Werke voller Verweise und visueller Vielfalt

Düsseldorf · Mit der überraschenden Ausstellung „The Notebook Simulations“ mit Arbeiten von Agnes Scherer verabschiedet sich Eva Birkenstock vom Kunstverein.

 Raumgreifende Installationen im Kunstverein.

Raumgreifende Installationen im Kunstverein.

Foto: Mareike Tocha

Eva Birkenstock hat sich das Beste für den Schluss aufbewahrt: Die Leiterin des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen verabschiedet sich mit einer herausragenden Ausstellung. Sie präsentiert in Person von Agnes Scherer eine Meisterschülerin von Peter Doig, die zuvor Kunstgeschichte studiert hat und voller Wissensdurst ist. Die 36-jährige Scherer machte mit Preisen und Stipendien auf sich aufmerksam und hat soeben einen Ruf als Professorin an die berühmte Universität Mozarteum in Salzburg bekommen. Mit „The Notebook Simulations“ zeigt sie ihr Können in der Kunsthalle als raumgreifende Inszenierung.

Das Außergewöhnliche daran liegt im Trickreichtum der neun überdimensionalen Gemälde, die sich auf dem Boden fortsetzen und über den Bildrand ausufern, um als Wandmalerei zu enden. Alles ist Objekt und Bild, Zeichen und Zeichnung, Buchstabe, Zahl, Note und Porträt. Sie zitiert die Tastatur und das Touchpad, nimmt den Bildschirm als „Window“, also als Fensterbild, und den Klapprechner als Diptychon. Die Werke sind voller Verweise und visueller Vielfalt, aber man kommt nicht dicht an sie heran, weil die Tastatur ausgefahren ist und den Betrachter damit auf Distanz hält. Sie spielt mit „Fehlermeldungen“, wie sie auf dem Computer vorkommen – und mit Glaubensinhalten und Angstvorstellungen.

Den Auftakt macht das Gemälde „Perseidenschauer“. Auf der Pressekonferenz flunkerte sie den Journalisten dazu eine Reise vor, die sie mit ihrer Freundin Chelsea im August in die Lammermuir Hills nach Schottland gemacht habe, um in völliger Dunkelheit die Augen auf den Nachthimmel zu richten und das alljährliche „Sternschnuppenereignis“ zu beobachten, wenn die Meteoriten blitzartig vom Himmel fallen. Zum Beweis malt sie sich mit ihrer Freundin ins Bild und lässt die Freundin vergeblich versuchen, das Licht zu fangen. Die Frauen stehen neben einem ausgedienten, weißen Mercedes, über sich den dunklen Himmel und unter sich die braune Erde, auf der sich geflügelte Wesen amüsieren.

Die Künstlerin produzierte in ihren Anfängen gern Comics, die in den Piktogrammen weiterleben. Aktuell lässt sie sich vom Augsburger „Wunderzeichenbuch“ inspirieren, das 2009 auf einer Auktion in London auftauchte und seit 2013 in einer Faksimile-Ausgabe vorliegt. Es gilt als sensationelle Neuentdeckung aus der Zeit um 1550, kurz vor Abschluss des Augsburger Religionsfriedens. Auf 167 Seiten enthält es wundersame und furchterregende Himmelserscheinungen, Feuersbrünste, Visionen vom Ende der Welt und eben auch Sternkonstellationen. Als Autoren werden die Renaissance-Künstler Heinrich Vogtherr der Jüngere und Hans Burgkmaier der Jüngere angesehen.

Agnes Scherer ist auf die Ikonografie versessen. Sie dreht und wendet die Symbolik der Bildgegenstände, zitiert Mythen und Legenden, liebt die Rätsel der Allegorien und Embleme, hat sie doch in ihren Anfängen sogar klassische Archäologie studiert. Sie springt vom Bildschirm zur steinzeitlichen Kultstätte, indem sie sich Teilwände in den Raum ziehen lässt, sodass der Besucher in einem Fall durch ein geteiltes Bild auf ein drittes, hinteres Bild schaut. Im Gehirn könnte er alles zur Einheit bringen.

In den Textbildern erscheinen auch Fehlermeldungen

„Alles, was du denkst, ist vor dir schon gedacht worden“, heißt ein Sinnspruch auf einem Gemälde. Damit der Betrachter von heute nicht alles glaubt, erscheinen in den Textbildern auch Fehlermeldungen, die besagen, dass alle Dateien auf dem Computer in Ordnern gespeichert werden. So wird der Betrachter über die unbekannten Fehler ins mediale Zeitalter geworfen und staunt, wie sich die schönen Jünglinge auf den temperamentvollen Rossen in der Multiplikation verheddern. Für das Touchpad bleibt da nur der Fußtritt.

Es geht um die „Geburt der Perle“, aber auch um schwarze, geflügelte Ungeheuer in schneebedeckten Bergen, die die Menschen wie Marionetten an langen Seilen ins Wasser stürzen und auf Bergspitzen katapultieren, während an den Seiten des Tablets feine Blumen ihre Kelche aus dem Dunkel hervorbringen. Diesseits und Jenseits begegnen dem Besucher in der Ausstellung auf Schritt und Tritt. Die Frage nach der Zukunft bleibt ausgespart.

Den Abgesang macht ein Breitwandpanorama. Es zeigt den Ausstellungsraum des Kunstvereins mit dem Feuerlöscher neben der Tür, und zugleich ein langes, angelsächsisches Begräbnisboot. Ursprünglich wollte sie ihrer Schau noch den Titel „Smiley“ geben, um dem Begräbnisritus ein lächelndes Gesicht hinzuzufügen. In „The Notebook Simulations“ bleibt es bei den Vortäuschungen, ist das böse Ende ausgespart.

Die Stärke dieser Künstlerin liegt in der Breite ihrer Themen, im Oszillieren zwischen den Zeitbezügen, im Pendeln zwischen den Stilen. Ihre Mittel basieren auf der Zeichnung und der Komposition. Sie findet überraschende Bildlösungen mit Anklängen ans Theater, an Kulissen und Requisiten. Mit „The Teacher“ trat sie im Cabaret Voltaire in Zürich auf. Über das Theater fand sie überhaupt erst zur Malerei, die sie als eine „subtile Zugabe“ zu all ihren Künsten versteht. Niemals hat je zuvor eine bloße Standardtastatur so viel erzählen können.