Kunsthalle am Grabbeplatz Harald Szeemanns geniale Schau galt dem Opa

Düsseldorf · Der einflussreiche Ausstellungsmacher wird in der Kunsthalle am Grabbeplatz selbst mit einer Schau geehrt. Sie kommt aus dem Getty-Institut.

Blick in die „Großvater-Ausstellung“, die Harald Szeemann für seinen Opa Etienne Szeemann organisierte. Sie ist jetzt in der Kunsthalle am Grabbeplatz zu sehen. Foto: Katja Illner

Foto: Katja Illner

Harald Szeemann (1933 bis 2005) war einer der einflussreichsten Ausstellungsmacher in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zugleich war er ein fanatischer Sammler. Als das Getty Research Institute in Los Angeles den gewaltigen Nachlass des Schweizers aus seiner legendären Fabricca Rosa im Tessin abtransportierte, waren es 600 Regalmeter Materialien, darunter abertausende von Fotos und Dokumenten.

Auf 2700 Quadratmetern war es eines der größten Archive zur modernen und zeitgenössischen Kunst. Die Amerikaner setzten vier Jahre lang täglich fast 30 Forscher ein, um die Schätze zu heben. Weitere drei Jahre waren nötig, um daraus ein Remake unter dem Titel „Museum der Obsessionen“ zu machen, mit lauter Zitaten und Verweisen.

Eigentlich ein unmöglicher Versuch, diesem Genie beizukommen. Szeemann war eine Ausnahmeerscheinung, wie er unzählige Male bei seinen Auftritten in Düsseldorf bewiesen hat. Keiner beherrschte wie er das Spiel mit Assoziationen. Er blieb ein Leben lang der Utopist, der gegen den Mainstream kämpfte. Ein Künstler unter den Kunsthistorikern, den die verkrampfte Kunstszene bitter nötig hätte. Ein Globetrotter, der es weltweit auf 150 Ausstellungen brachte.

Sein Unternehmen: Die „Agentur für geistige Gastarbeiter“

Nachdem er das verschlafene Bern acht Jahre lang als jüngster Kunsthallendirektor der Schweiz zu einem Zentrum der Bohème, zu einem Schaufenster der Künstler Europas und Amerikas gemacht hatte, stieg er aus, wurde freiberuflich und nannte sein Unternehmen eine „Agentur für geistige Gastarbeit“. Wie die Dokumente und Plakate in der oberen Etage der Kunsthalle belegen, ließ er sogar Stempel anfertigen, um sein Anti-Museum zu belegen.

30 Jahre lang organisierte er internationale Biennalen in Venedig, Lyon, Sevilla und Gwangju. Oder genauer: Ganzjährig war er unterwegs von Atelier zu Atelier, immer auf der Suche nach den individuellen Mythologien seiner Künstler, um daraus ein jeweiliges Gesamtkunstwerk zu machen.

Die Schau für Etienne blüht in
der Kunsthalle richtig auf

Die Documenta 5 war seine erste große Herausforderung. Danach fühlte er sich vogelfrei und machte in seiner Privatwohnung 1974 eine Ausstellung über seinen drei Jahre zuvor mit 98 Jahren verstorbenen Großvater Etienne Szeemann. Damit fängt die Schau am Grabbeplatz an.

Am Beispiel dieses gebürtigen Ungarns, der als Bub die Kate im Dorf seiner Eltern verließ, Frisör auf einem Luxusdampfer wurde und in die Annalen seines Handwerks als Miterfinder der Dauerwelle einging, demonstrierte der Enkel Harry, wie der Opa tickte. Und die Kuratoren Glenn Phillips und Philipp Kaiser finden in diesem authentischen Teil der Schau die schönsten Momente, wie man die alten Objekte zum Leben erweckt. Ihnen selbst gelingt das nämlich nicht immer.

Dieser Opa schrieb die Geschichte seines Lebens auf. Und da er damit offensichtlich kaum aufhören wollte, verstaute er die gesammelten Werke in einem uralten Koffer mit vielen Scharnieren. Damit die Besucher sehen, was er da alles schrieb, bleibt der Koffer geöffnet, wobei die Blätter allerdings vergilben werden.

Dieser Coiffeur war beredt, und er bedachte stets seine Gäste. So gibt er jetzt der Nachwelt zu bedenken, dass ein Friseur den ganzen Tag auf seinen Füßen steht, weshalb er ihnen eine besondere Pflege in Gestalt einer „Schwedenmassage“ andienen müsse. Seine Lockenmaschine, seine berühmte blondierte Frisierpuppe, seine Ondolier-Apparate, die die bisherigen Lockenwickler ablösten, all dies lässt sich nun fast wie in einem kunsthistorischen Museum bewundern. Sogar die Kleiderkammer dieses Mannes war etwas Besonderes. Die Besucher können sich derzeit nicht satt daran sehen. Warum aber diese Großvater-Schau dann plötzlich aufhört und in bloßen Verpackungskisten endet, ist unverständlich und hat mit der originalen Inszenierung partout nichts zu tun. Sind da möglicherweise den Kuratoren von heute die Ideen ausgegangen?

Der Monte Verità war für für die
Alternativen eine Energiequelle

Szeemann sah im Museum eine Art Energiequelle, einen Hinweis auf ein besseres Leben und eine kreative Gesellschaft. Der Gipfel seiner Vorstellungen befindet sich auf dem Monte Verità. der so etwas wie eine Utopie-Metropole friedlich versammelter Alternativen darstellt. Der Wuppertaler Sammler von der Heydt gehörte genauso zu den Lebensreformern wie weniger betuchte Sonnenanbeter im Adamskostüm.

Szeemann vermittelte Kunst wie eine Art Wunderkammer, die sich dem erstickenden kulturellen Klima in der Ära Adenauers und seiner Nachfolger widersetzte. In seinen Ausstellungen wurde parodiert und ironisiert. Vor allem aber war es keine bloße Bildungsanstalt, sondern eine Denkfabrik und eine Lebensaufgabe. Kunst sollte die Sinne ansprechen, was im aktuellen Zeitalter der Medien häufig in Vergessenheit gerät.

Im Kinosaal ist eine große Wand dem Armand Schulthess gewidmet. Der einstige Sachbearbeiter in einem Finanzamt stieg aus dem Erwerbsleben aus und lebte am Steilhang eines großen Waldes. Er begann, auf den ausgeschnittenen Deckeln von Konservenbüchsen mit einer Stricknadel zu zeichnen und zu schreiben. Ein Künstler als Einsiedler und als Visionär am Rande der Existenz.

Idealpalast des Landbriefträgers Ferdinand Cheval im Modell

Der Gang durch den Kinosaal führt auch an einer Arbeit des Landbriefträgers Ferdinand Cheval vorbei, der auf seinen Touren mit der Post unterm Arm am Wegesrand Ziegelsteine aufsammelte und daraus seinen Idealpalast baute, Sinnbild einer fantastischen Architektur. Kunst, so die Botschaft von Szeemann, ist keineswegs nur an den Beruf eines studierten Künstlers gebunden. In der Ausstellung ist ein Modell Chevals zu sehen, das vielen Architekten von heute die Schau stiehlt.

Die Kunst der Moderne war für Szeemann voller Überraschungen für alle Sinne. Er liebte Werke in ihren anarchischen, chaotischen, widersinnigen Manifestationen. Insofern ist die Schau ein Vorbild für alle zukünftigen Ausstellungsmacher, den Finger nicht nur in die Luft zu halten, um nach modischen Trends Ausschau zu halten.

Die Kunst, wie Szeemann sie verstand, bestand aus lauter wunderbaren Lebenswegen. Szeemann jedenfalls vertraute den Künstlern, denn er gehörte selbst zu ihnen.

Info: Die Ausstellung wird am Grabbeplatz 4 gezeigt. Öffnung bis 20. Januar Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr.

Eintritt 6 Euro, Kinder bis 18 Jahre gratis, jeden 2. Sonntag im Monat: Familientag bei freiem Eintritt. Es handelt sich um eine Wanderausstellung, die aus Los Angeles und Bern kommt und noch in Turin und New York zu sehen sein wird. Der Katalog im Verlag Scheidegger & Spiess kostet 48 Euro. Großes Kinderprogramm.

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