Kunstprojekt Ausstellung im Düsseldorfer KIT: Beton-Ruinen als wichtiges Erbe der Städte

Düsseldorf · Der Künstler Manuel Schroeder würdigt die Hinterlassenschaften aus dem grauen Material: mit Fotos, Videos und Rauminstallationen.

 Der Fotograf Manuel Schroeder widmet sich im KIT den Beton-Hinterlassenschaften im Stadtraum.

Der Fotograf Manuel Schroeder widmet sich im KIT den Beton-Hinterlassenschaften im Stadtraum.

Foto: Thomas Frank

Beton – das war nach dem Zweiten Weltkrieg das Baumaterial par excellence. Weltweit. Ob Hochhaussiedlungen, Kirchen, Kunsthallen, oder Rathäuser – sie erschienen in rohem Beton. Unverputzt, ungestrichen, ungekünstelt. Urheber waren die sogenannten Brutalisten. Eine Architektur-Bewegung, die keinen Stil mehr verfolgte, sondern nur das Material sprechen lassen wollte. „Brut“ sollten die Bauten sein, nicht brutal, sondern pur und wahrhaftig. Diese Gebäude mit ihren schrundigen Fassaden symbolisierten lange eines: Hässlichkeit. In den letzten Jahrzehnten haben die Städte vieler diese „Betonungetüme“ abgerissen.

Doch seit einigen Jahren findet ein Wandel statt: Brutalistische Bauten werden wiederentdeckt und wertgeschätzt. Vereine, Blogs und Museumsausstellungen holen sie wieder ins Gedächtnis und engagieren sich für ihren Erhalt. Auch Künstler setzen sich verstärkt mit Beton auseinander. So auch der Berliner Fotograf Manuel Schroeder. Zusammen mit der Stiftung Kunst, Kultur und Soziales der Sparda-Bank West hat er im KIT ein Ausstellungs- und Vermittlungsprojekt initiiert, das sich dem Beton verschreibt. Es nennt sich „Concrete Delusion – Resources and Landmarks“ („Beton-Wahn – Rohstoffe und Landmarken“). Im Mittelpunkt stehen Beton-Ruinen in öffentlichen Räumen, die Beton-Reste einstiger Bahn-, Industrie- und Militäranlagen. Die verfallenen Architekturen ruhen heute häufig auf Brachflächen, überwuchert von Pflanzen. Stadtplaner, Architekten oder Bürger betrachten diese Beton-Hinterlassenschaften oft als Abfälle, die die Landschaft verschandeln und dementsprechend zu entsorgen seien. Manuel Schroeder sieht das anders: Für ihn zählen die Beton-Ruinen zum kulturarchäologischen Erbe, das es zu bewahren gelte. Das KIT könnte für sein Kunst-Projekt kaum passender sein, handelt es sich bei dem unterirdischen Ausstellungshaus am Mannesmannufer doch um einen Tunnelrestraum, der entstand, während der Rheinufertunnel gebaut wurde.

Der 56-jährige Künstler präsentiert neben Fotografien auch Boden- Sound- und Videoinstallationen. Die Aufnahmen zeigen Beton-Ruinen in Lettland und Weißrussland: Beton-Holme, die auf einer Brache hinaufragen. Wie steinerne Baumstämme, überwuchert von Gras, im Sonnenlicht. Schroeder verleiht dem Verfall eine poetische Aura. Durch den Kopf flimmern Szenarien: Waren diese Beton-Stelen Teile eines Grenzzauns? Falls ja, ein Grenzzaun von was? Einer Kaserne? Einer Fabrik? Es handelt sich um Begrenzungspfähle einstiger Industrie- und Militäranlagen, die sich heutzutage häufig in Osteuropa finden.

Manuel Schroeder hat sein „Beton-Projekt“ vor fünf Jahren in Lettland begonnen. Vor allem in Daugavpils. Die Stadt gilt bis heute als einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte der Bahn zwischen Russland und dem europäischen Kontinent. „Lettland ist eine der baltischen Staaten, in dem die ehemalige Sowjetunion sehr viele Industrie- und Militäranlagen gebaut hat und nach dem sogenannten Verfall der Sowjetunion 1991 wurde blitzschnell alles an Industrie aufgelöst und diese Gebäude und Kasernen sind verfallen. Die Beseitigung von Beton ist mit enormen Kosten verbunden. Also hat man sich entschieden, das Ganze verfallen zu lassen. Das ist für den Künstler ein besonderes Territorium“, sagt Schroeder.

 Begrenzungspfähle einstiger Industrie- und Militäranlagen finden sich in Lettland überall. Manuel Schroeder hat sie dokumentiert.

Begrenzungspfähle einstiger Industrie- und Militäranlagen finden sich in Lettland überall. Manuel Schroeder hat sie dokumentiert.

Foto: Manuel Schroeder

Der Berliner Fotograf fängt die verfallenden Gebäude ein. In Wäldern oder abseits der  Straßen hat er sie entdeckt. Fundamente, Mauerreste, zerbrochene Beton-Quader. Meistens überwuchert von Gras, Farnen und Dickicht. Über die steinernen Ruinen zieht sich auch Patina. „Wasser und Sonne zerstören Beton, brechen ihn. Die meisten Hinterlassenschaften stammen aus den 40er und 50er Jahren. Bis in die 70er Jahre hatte Beton eine für uns – heute gesehen – schlechte Qualität. Es waren sehr viele Poren im Material, es war zum Teil zu grob, das heißt, das Wasser konnte eindringen und das ist das Gefährlichste für solche architektonischen Projekte“, erklärt Schroeder.

Der Fotograf hat sich für „Concrete Delusion“ aber auch in Steinbrüche der Zement-Industrie begeben. Im Münsterland. Mehrere Monate lang. Dort erforschte der Künstler den Rohstoff des Betons: Zement. Entstanden sind Aufnahmen von Geröllhalden, Dünen, schlammigen Flächen mit Reifenspuren, Wasserlöchern mit Pflanzen. Menschenleere Welten, die Atmosphäre wirkt düster, postapokalyptisch, zugleich anziehend und schön wie eine Mondlandschaft. Die Aufnahmen sehen aus, als wären sie schwarzweiß. Sie sind es aber nicht. Das Grau des Gerölls gibt die Farbe vor. Die Fotografien überzeugen. Die Fotografie beherrscht Schroeder. Unverkennbar, dass er in diesem Medium zu Hause ist.

 Wie ein postapokalyptische Landschaft: Blick in einen Zement-Steinbruch im Münsterland.

Wie ein postapokalyptische Landschaft: Blick in einen Zement-Steinbruch im Münsterland.

Foto: Manuel Schroeder

In anderen Kunstgattungen hingegen offenbart Schroeder Schwächen. Etwa in seiner Videoprojektion „Am Ende ist Kontrollverlust“. Sie fängt ein, wie Zement produziert wird. Riesige Brocken fallen in einen Trichter und werden zermahlen. In Nahaufnahme, auch das ohrenbetäubende Zermalmen der Steine ertönt. Etwa eine halbe Minute lang, in Endlosschleife. Ähnlich die Video-Bodeninstallation „Standortfaktorei“: Auf dem Boden liegen neun Displays. Auf jedem läuft die gleiche Filmsequenz als Loop. Durch einen Gitterschacht blickt man auf ein Laufband, das glühende Steinkügelchen transportiert. Sie bilden sich dadurch, dass die zuvor gemahlenen Gesteine in Dauerrotation bei 1600 Grad aufgeweicht wurden. Spannende Prozesse der Zementherstellung, und Manuel Schroeder scheint genau diese Faszination auszureichen. Denn auch wenn er für seine Mini-Videos die Zoom-Perspektive auswählt, bleiben sie letztlich eine visuelle „Tagebuch-Notiz“. Mit der Botschaft: Das habe ich erforscht und zeige es euch jetzt. Genau hier liegt aber das Problem. Schroeder hat etwas herausgefunden, aber er macht künstlerisch nichts Besonderes daraus.

Auch nicht in seiner Rauminstallation „Be quiet! It’s forever“. In der Nische am KIT-Entree stehen etliche graue „Grabsteine“. Kreuz und quer auf dem Boden verteilt. Sie sehen aus, als wären sie aus Beton, sind aber aus betonfarbenem Hartschaum. Auf die „Gedenksteine“ hat der Künstler mit UV-Farbe Fotos gedruckt: von Bänken und Treppen eines alten sowjetischen Friedhofs in Lettland, mit Fotos von Verstorbenen, die Angehörige – in Keramik versiegelt – auf die Grabplatten gehängt haben. Im Hintergrund – ebenfalls aus Hartschaum – hat Schroeder die Beton-Holme postiert, die er schon mit der Kamera abgelichtet hat. Und nicht zuletzt hat Schroeder die Friedhofs-Installation violett illuminiert. Der Künstler überträgt Fotos des Friedhofs auf selbst hergestellte Hartschaum-Grabplatten und imitiert damit einen Friedhof. Doch die spezielle Atmosphäre von baulichem Verfall, Tod und Gedenken an die Verstorbenen vermittelt sich nicht. Dazu wirkt die Installation zu sehr wie eine illuminierte Spielzeug-Welt.

 Wie eine illuminierte Grusel-Spielzeugwelt: Manuel Schroeder installiert eine Gräberhalle mit betonfarbenen Hartschaumplatten und Fotos eines alten sowjetischen Friedhofs aus Lettland.

Wie eine illuminierte Grusel-Spielzeugwelt: Manuel Schroeder installiert eine Gräberhalle mit betonfarbenen Hartschaumplatten und Fotos eines alten sowjetischen Friedhofs aus Lettland.

Foto: Manuel Schroeder

Doch Schroeder versteht „Concrete Delusion“ auch als partizipatives Projekt, als Projekt, an dem sich Menschen beteiligen sollen. So hat er für Workshops Schüler der Otto-Pankok-Schule in Mülheim an der Ruhr und des Hans-Sachs-Berufskollegs in Oberhausen gewinnen können. Zusammen mit dem Künstler werden sie alte Bunkeranlagen in Düsseldorf sichten und fotografisch dokumentieren. Die Recherche-Ergebnisse fließen in die Ausstellung mit ein.

Zudem will Schroeder auch andere Künstler oder Fotografen für sein „Beton-Projekt“ gewinnen. Sein Ziel: ein Skulpturenpfad der Beton-Hinterlassenschaften für Düsseldorf. Samt Buch-Dokumentation. Denn die Beton-Ruinen begreift Schroeder als Skulpturen. Er sucht sich bestimmte bauliche Hinterlassenschaften aus, die für ihn einen besonderen ästhetischen Anspruch haben, um sie später zu illuminieren, das heißt, auf Dauer mit UV-Licht zu bestrahlen. In Münster wird er einen solchen Skulpturenpfad der Beton-Reste realisieren. Für Düsseldorf wäre er auch wünschenswert!