Düsseldorf Faust rast durch die City, bis es kracht

Regisseur Robert Lehniger erkundet für „Faust (to go)“ im Wohnmobil die Stadt. Premiere hat seine Produktion in der Christuskirche.

Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Das Pudel-Paradies sprang ihn förmlich an, als Robert Lehniger zum ersten Mal nach Oberkassel kam. Was für ein Geschenk, dachte der Regisseur, der vom Schauspielhaus den Auftrag bekommen hatte, einen mobilen „Faust“ für alle möglichen Orte in Düsseldorf zu inszenieren. Ein Faust, der etwas mit der Stadt und ihren Menschen zu tun hat.

Lehniger hat im Pudel-Paradies gefilmt, auf den Rheinwiesen und im Malkasten, am Fortuna-Büdchen und am Riesenrad. Unterwegs mit einem Wohnmobil und fünf Schauspielern hat er Szenen gedreht mit seinem Faust, einem modernen Mann, der durch die City rast, bis es kracht. „Faust’s Egotrip beschleunigt sich zusehends — mit fatalen Folgen. Das ist unsere szenische Behauptung, mit der wir in das Stück gehen“, erklärt Lehniger, der bekannt ist für seine Verbindung von Video und Theater. Er startet mit einer Gruppe Forensikern, die den Fall Faust untersuchen und sich mit einzelnen Figuren identifizieren. „Dann erzählen wir unsere Version des Faust 1 — mit Goethes Text.“

Gespielt wird aber nicht im Theater, sondern in der Christuskirche in Oberbilk, im LVR Klinikum in Grafenberg, im Industrieclub nahe der Kö, auf dem Uni-Campus und in Schulen. Es hat den Berliner Theatermacher erstaunt, wie die Düsseldorfer auf das ungewöhnliche Angebot der Eröffnungsspielzeit des neuen Intendanten Wilfried Schulz reagieren. „Das Interesse ist groß. Wir haben inzwischen Einladungen für die gesamte Spielzeit und darüber hinaus.“ Lehniger bezeichnet es als eine „Reise durch alle gesellschaftlichen Bereiche“, die es in dieser Form wohl noch nie gegeben hat.

Buchen kann die Produktion jeder, der einen geeigneten Raum zu bieten hat und 100 bis 150 Zuschauer, die für die Kosten von 500 bis 1000 Euro aufkommen wollen. „Wir hatten auch die Anfrage eines Gartencenters, die uns sehr gefreut hat.“ Jede Vorstellung passt sich der Umgebung an, in der Christuskirche wird die Orgel genutzt, die Walpurgisnacht stammt aus dem Malkasten. Videoprojektionen bringen die Filmszenen aus der Stadt an die Aufführungsorte. „Das ist auch für die Schauspieler Neuland, sie verlassen den geschützten Theaterraum, treffen an jedem Abend auf andere Voraussetzungen.“

Die Herausforderung liegt neben der Logistik aber zudem ganz klar im Stoff: „Nahezu jeder hat einen Bezug zum Faust. Heute, mit Anfang 40, lese ich den Faust ganz anders als in der Schulzeit oder im Studium in Weimar, wo ich viele beeindruckende internationale Faust-Inszenierungen erleben durfte. Für mich ist das eine spannende Wiederbegegnung.“ Keine einfache, gibt er zu. Jedes Detail sei bedeutsam, alles sei perfekt. Er müsse sich freimachen von allen Vorbildern, von Peter Stein und Gustaf Gründgens, um herauszufinden, welche Bedeutung dieser Rastlose heute für uns habe. Die Frage sei für ihn, ob nach dem Crash, nachdem Faust seinen Wohnwagen vor die Wand gesetzt hat, er noch einmal in die Selbstzerstörung rennen würde. Lehniger spricht von dem Unvermögen zu reflektieren, das ihn interessiert. Ein „fahrender Faust“, das ergibt für den Regisseur in mehrfacher Hinsicht Sinn: Zum einen erinnere es an alte Traditionen, als Schauspieler als fahrendes Volk ihre Bühne aufklappten, zum anderen könne die Kunst schon mal ihren Thron verlassen. „In einer Zeit, in der sich das Theater immer wieder aufs Neue legitimieren muss, ist es nur konsequent, dass die Kunst auch mal zu den Menschen kommt und nicht umgekehrt.“ Welchen Standort wünscht sich der Regisseur für seinen Faust denn noch? „Wenn ein Autohaus die Porsches rausfährt und den Faust reinlässt.“