Fernöstliche Geigen-Hoffnung
Mit acht Jahren hat Ray Chen seine ersten Konzerte gegeben. Samstag spielt er in Düsseldorf.
Düsseldorf. Der Mann sieht aus wie die taiwanesische Antwort auf Lang Lang. Aber das täuscht. Ray Chen kann nicht mal Chinesisch. Mit sechs Jahren verließ er mit seinen Eltern seine Heimat Taipeh in Richtung Australien. Mit acht Jahren trat er erstmals öffentlich mit einem Orchester auf. Ein Jahr später lud man ihn zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele nach Osaka ein. Nichts Besonderes also. Wunderkinder sind so.
Zum Interview in einem kleinen Berliner Hotel lässt er sich am Frühstückstisch abholen. Inzwischen ist er 21 Jahre, ihm haftet nichts Schülerhaftes an. Am Tag vorher hat er in der Philharmonie sein umjubeltes Debüt hingelegt. Leise stöhnt er darüber, dass die Zusammenarbeit mit dem jungen Dirigenten nicht einfach war. Die jungen Leute haben heute auch keine rechte Erfahrung mehr, scheint er sagen zu wollen.
Doch er langt noch schärfer hin: „Es gibt keine richtig guten Geiger mehr, denen man einfach so zuhören möchte”, meint er abgeklärt. „Wo sind die ganz großen Violinisten, so groß wie früher Heifetz, Oistrach oder Kreisler waren?” Das verrät nicht nur Altklugheit. Es zeigt einen Bildungsgrad und einen Bekenntnismut ohne falsche Arroganz, wohinter sich viele andere Geiger, die nur die eigenen Kollegen kennen, verstecken könnten.
„Mit drei Jahren bekam ich eine Spielzeug-Gitarre in die Hand, die ich mit Ess-Stäbchen traktierte”, erinnert sich Ray Chen. Nachdem man ihm eine Geige gegeben hatte, flüsterte ihm seine Mutter ins Ohr: „Wenn du keine Lust hast zum Üben, mach ruhig etwas anderes.” Der Trick funktionierte. Immer wieder sei er darauf hereingefallen, meint Chen. Und habe brav geübt. Es sei nämlich immer in dem Gefühl geschehen, es sei „just for fun”. Nur zum Vergnügen.
Gelernt hat er anfangs nach der Suzuki-Methode, die hierzulande manche für Kleinkram halten. Nur wenige Geiger bekennen sich so freimütig dazu wie er. Hierbei lernen Kinder im Vorschulalter zunächst ohne Noten. Es wird nachgespielt, was die Kinder hören. Das Musikinstrument soll den Charakter eines Spielzeugs behalten. Wichtig ist, dass ein Elternteil zuhause beim Üben tüchtig einbezogen ist (und aufpasst). Diesen Job hat Ray Chens Mama anscheinend ganz vorzüglich ausgefüllt.
Stolz ist er auf die winzige Glitzer-Fliege, die er am Vorabend auf der Bühne getragen hat. Sie sei zart wie Schnee, könne eingedrückt werden und behindere dadurch den Klang der Violine kein bisschen. Stolz sein könnte er auch auf den weichen, weiten und bei Bedarf dunklen Ton, den er dabei erzeugt. Dieser Junge, der auf seiner Debüt-CD bei Sony rundheraus als „Virtuoso” angepriesen wird, kommt deutlich vom amerikanischen Brillianz- und Sauberkeitsideal her, das er am Curtis-Institut in Philadelphia gelernt hat (dort, wo auch Lang Lang und Hilary Hahn studierten).
Blitzblank polierte Töne in hyperbrilliantem Sound. Funkelnd und leicht schwingen sich so die Linien in Bachs Chaconne aus der Partitita in d-Moll von einem Kontrapunkt zum nächsten. Schönheitstrunken und von feinem Tiefsinn prickelt Tartinis „Teufelstriller”-Sonate. Weite und formale Strenge atmet die Sonate von César Franck. Die CD versammle „einige der schönsten Violinwerke” überhaupt, meint Chen. Genau die wird er bei seinem Recital im Robert-Schumann-Saal in Düsseldorf auch zum Besten geben. Passend zur CD. Passgenau zum Geschmack des Amerikaners, der er heute ist.
Musikalisch favorisiert Chen — ganz ähnlich wie in der asiatischen Philosophie — die musikalisch und meditativ lange Linie. Alles fließt. Alles soll sehr schön klingen. Immer muss eine Gesangslinie auch in der Instrumentalmusik hörbar sein. Virtuosität also an der langen Leine. Ray Chen gehört zu den großen Hoffnungen der Geigen-Zunft.