Interview Festival-Chef: „Ich will Stimmen aus Afrika, Asien und Amerika zum Klingen bringen“

Düsseldorf · Interview Gemeinsam mit Schauspielhaus-Intendant Wilfried Schulz leitet Stefan Schmidtke das Festival „Theater der Welt“, das im Mai in Düsseldorf stattfinden wird. Er spricht über seine Reisen, seine Entdeckungen und ein europäisches Projekt.

 Stefan Schmidtke hat am Telefon von seiner Wahl zum Künstlerischen Leiter erfahren.

Stefan Schmidtke hat am Telefon von seiner Wahl zum Künstlerischen Leiter erfahren.

Foto: Thomas Rabsch

Innerhalb eines Jahres hat Stefan Schmidtke 167 Hotelnächte auf fünf Kontinenten verbracht. Er reiste rund um den Globus, um Theaterstücke und Projekte anzuschauen, die es würdig sind vom 14. bis 31. Mai dabei zu sein. Beim „Theater der Welt“ – dem größten Theaterfestival, das im Jubiläums-Jahr 2020 zu Gast in Düsseldorf sein wird. Erstmals wählte der 51-jährige künstlerische Leiter und Dramaturg ein Drittel der Festival-Produktionen aus der Sparte Kinder- und Jugendtheater aus. In Absprache mit Intendant Wilfried Schulz, der für Düsseldorf das Rennen gemacht hat im Wettbewerb mit anderen Städten. Sein Ehrgeiz war es, das Renommier-Festival endlich in die Landeshauptstadt zu holen. Seit 1981 vergibt das Internationale Theaterinstitut (ITI) im Drei-Jahres-Turnus „Theater der Welt“ an deutsche Bühnen. Finanziert mit jeweils einer Million Euro von Stadt und Land. Der Bund steuert 800 000 Euro hinzu.

Ab Anfang Mai werden rund 400 Schauspieler, Regisseure, Bühnentechniker etc. aus aller Welt ihre Fantasie blühen lassen und Menschen miteinander in Kontakt bringen. Logieren werden sie in einem zentral gelegenen Hotel (Nähe Bahnhof) einer internationalen Business-Hotelkette, die besonders bei der jungen Generation einen glänzenden Ruf genießt. Vorausschauend geplant haben die Organisatoren, denn das Festival liegt zeitlich zwischen zwei großen Messen. Dann sind in unserer Stadt erschwingliche Hotelzimmer, wie jeder weiß, Mangelware.

Vor ein paar Wochen bezog Schmidtke sein Büro – im Central am Hauptbahnhof, in das 2020 vermutlich (so die Politik es beschließt) das Junge Schauspielhaus einziehen wird. Unsere Redaktion traf den Berliner Schmidtke, der vorübergehend in einer Studenten-WG ein Domizil gefunden hat, zwischen Besprechungen und Vorbereitungen. Auch während der Weihnachtsferien ruht seine Arbeit nicht.

Warum widmen Sie ein Drittel der 30 Inszenierungen dem Jugendtheater?

Stefan Schmidtke: Es war eine spontane Entscheidung, aus dem Herzen. Denn Düsseldorf verfügt über das avancierteste Jugendtheater der Republik. Und es ist die Generation, die wir fürs Theater der Zukunft gewinnen müssen.

Wie haben Sie von Ihrer Wahl als künstlerischer Leiter erfahren?

Schmidtke: Durchs Telefon. Als Wilfried Schulz mich anrief und mir das anbot, bekam ich Herzklopfen. Denn ich kenne die Stadt, hab mich immer wohlgefühlt und liebe besonders das Große Haus, weil ich 2011-2014 als leitender Dramaturg (unter Staffan V. Holm) hier tätig war. Damals wohnte ich in Pempelfort und ging durch den Hofgarten zum Theater. Unter Wilfried Schulz gehört Düsseldorf wieder zu den „Big Five“ deutscher Schauspielhäuser.

Aber vor der großen Bühne haben doch so viele Regisseure Angst.

Schmidtke: Ich weiß, aber ich bin ein Fan davon. Und war immer verblüfft über die Möglichkeiten. Das Haus kann was. Denken Sie nur an die einmalige Bühnentechnik.

Wie haben Sie die Produktionen für das Festival ausgewählt?

Schmidtke: Als ich unterwegs war, habe ich Herz und Ohren offengehalten für jede Tendenz und mich gefragt, in Indien oder Kanada, ‚Was passiert gerade in diesem Land?’

Ihr Ziel für das Festival?

Schmidtke: Ich will die Stimmen aus Afrika, Asien und Amerika zum Klingen bringen. Es geht nicht um Wissenschaft oder Geschichte, sondern Zuschauer sollen Künstler persönlich erleben. Es geht um das, wie und was sie uns mitteilen. Um ihre ganz persönlichen Geschichten – zum Beispiel Künstler mit indigenen Wurzeln, Kehlkopfsängerinnen oder Transgender-Vertreter. Ich wollte Menschen finden, die was anderes erzählen als das Fernsehen. Theater darf man eben nicht verwechseln mit politischem Diskurs oder der Tagesschau.

Und die Düsseldorfer?

Schmidtke: Sie stellen die gleichen Fragen, die auf anderen Kontinenten gestellt werden. Zumal sie in einer so internationalen Stadt leben mit Bewohnern aus zig Nationen. Die Stadt ist ein Transfer- und Messe-Ort. Und beim Festival geht es um unmittelbare Begegnungen – kurz: um die Nähe zur Welt. Aber nicht nur um Probleme, sondern auch um die heiteren Seiten unseres Lebens. Die Welt bietet den Menschen viel Schönes, sie leben überwiegend ja in Lust und Freude.

Geht’s darum in der Uraufführung von Bürgerbühne und Jungem Schauspielhaus?

Schmidtke: Auch. 70 Düsseldorfer, Männer und Frauen, fragen darin ‚Was ist mit unserer Umwelt? Und sie wollen zeigen, wie sich dazu verhalten. Es ist eine Koproduktion mit Kanada, die Proben beginnen im Januar.

Und der europäische Beitrag soll ja ein interaktives Projekt sein.

Schmidtke: Ja, zwölf europäische Philosophen zeigen ihre Vision von Europa. Es ist ein musikalischer, philosophischer Wettstreit. Ein ’philosophical european song contest’. Am Ende entscheidet eine Jury. Und das Publikum stimmt ebenfalls über die Visionen ab. Die Produktion wandert von der Schweiz aus durch zwölf Länder, Düsseldorf feiert dann die deutsche Erstaufführung.