FFT: Gefühle streng verboten
Premiere: Das FFT eröffnet die Spielzeit mit „Hysteria oder Brechts LAB“ von Frank Raddatz – gut gespielt und gar nicht bierernst.
Düsseldorf. Suggestive Mittel sind unerwünscht! Wenn der wunderbare Schauspieler Harold Kennedy German in der Rolle eines Hochstaplers davon erzählt, wie er in einer ausweglosen Situation seine Familie umbringt und währenddessen Glühlampen kaputt tritt, so erhält dieses leise Knirschen eine unheimliche Wirkung.
Schon falsch - Claudia Burckhardt fährt ihm mit heftigen Vorwürfen dazwischen und liefert gleich noch eine Publikumsbeschimpfung mit: Wie sie alle stieren - ohne zu denken!
Je mehr der Zuschauer gebannt ist vom Geschehen auf der Bühne, desto weniger versteht er. Davon war Bertolt Brecht überzeugt und sammelte deshalb für sein "episches Theater" Distanzierungsmethoden: die Verfremdungseffekte. Wer sich darunter bislang wenig vorstellen konnte, erhält im FFT nun Anschauungsunterricht. Bierernst muss man den Abend jedoch nicht nehmen.
Claudia Burckhardt, gut bekannt vom Düsseldorfer Schauspielhaus, schmeißt sich mit Lust in die Pose des aufklärerischen Theatergenies, auch die dicke Zigarre fehlt nicht, aber sie befolgt seine Regeln mitnichten. Gekonnt springt sie in die unterschiedlichsten Rollen, zeigt die ganze Skala der Gefühle, von der schüchtern-verliebten Studentin bis zur verzweifelt um ihr Leben kämpfenden Frau.
Frank Raddatz will mit seinem Stück "Hysteria oder Brechts LAB" ausprobieren, wie Brechts episches Theater heute noch funktioniert. Als Demonstration ist der Abend recht gelungen: Man kann gut verfolgen, wie verfremdend eine Wiederholung wirkt, wie schwierig es ist, mit einer roten Clownsnase eine traurige Szene zu spielen, welch unterschiedliche Stimmungen man mit einem Lied erzeugen kann.
Wie suggestiv andererseits das Spiel von guten Schauspielern wirkt, erst recht, wenn eine Geschichte anfängt, die Zuschauer zu interessieren. Plötzlich mag man keine ästhetischen Debatten mehr hören, sondern will nur wissen, wie es weitergeht mit diesem traurigen Hochstapler.
Ein Theaterlabor ist "Hysteria" jedoch nicht, da hilft weder die angedeutete Hypnosenummer noch der Werkstattcharakter des Bühnenbilds, in dem viele Anzüge und Stühle von der Decke hängen. Dafür hätte es doch mehr Spiel mit dem Publikum gebraucht, und vor allem auch aktuellere Bezüge. Schließlich ging es Brecht ja um politisches Bewusstsein: Indem man das angeblich so Vertraute mit wacher Distanz beobachtet, soll man es als veränderbar erfahren.
Da gäbe es doch reichlich Anschauungsmaterial aus unserer Zeit, während die Hochstaplerstory etwas angestaubt wirkt. Aber toll gespielt war sie! Und ihre Suggestivkraft siegte schließlich über die brecht’schen Einwände; auch Claudia Burckhardt legte die Zigarre weg und gab sich dem Spiel hin. Zum Ende fragte sie aber dennoch: Was macht das nun für einen Sinn?