Junge Oper Ein Fisch und die Gier nach mehr

Düsseldorf · Die Premiere von „Gold!“ von der Jungen Oper am Rhein bewies, wie lieblich Gesellschaftskritik sein kann.

Perkussionist Ralf Zartmann im Hintergrund und Mezzosopran Amélie Saadia in „Gold!“ von Leonard Evers unter der Regie von Ilaria Lanzino.

Foto: Jochen Quast

Mit der Gier nach mehr verhält es sich in etwa so wie mit Kartoffelchips. Da steht auf einer Party eine Schüssel mit den frittierten Kartoffelplättchen und man verspürt zunächst gar nicht so viel Lust auf den salzig würzigen Snack. Doch alsbald greift man rein und isst ein, zwei Scheibchen. Dann greift die Hand nach mehr: noch eins, noch zwei – wieso nicht gleich drei auf einmal? Im Nu ist der Inhalt der Schüssel dezimiert und man merkt, dass man es wirklich übertrieben hat, nimmt sich vor, beim nächsten Mal etwas zurückhaltender zu sein. Ähnliches scheint auch ein Phänomen zu sein, das uns befällt, wenn es um die Gier nach Eigentum, nach Konsum, nach Wohlstand geht.

Jakob ist ein kleiner Junge, der so arm ist, dass er sich zumindest um Kartoffelchips weniger Gedanken machen dürfte. Nicht einmal ein richtiges Dach über dem Kopf hat er und keine Schuhe. Doch in dem Musiktheaterstück für Kinder „Gold!“ des Niederländers Leonard Evers wird er, besser gesagt seine Eltern, genau dieser Gier verfallen, die einem mehr und mehr haben zu wollen zuflüstert. Eine Kammeroper, berührend hübsch inszeniert von Ilaria Lanzino – sie ist Regieassistentin an der Deutschen Oper am Rhein ­–, die nun in den Räumen der FFT Kammerspiele ihre Premiere feierte. Jakob, der Junge, quirlig agil, voller Spielfreude verkörpert von der Mezzo Amélie Saadia und Perkussionist Ralf Zartmann erschufen gemeinsam eine märchenhafte Stimmung, die sowohl ganz Kleine – ab fünf Jahre – als auch Größere auf eine Weise in den Bann ziehen kann. Märchen, werden sie so liebevoll inszeniert, funktionieren generationenübergreifend, zeitlos. Wobei Ilaria Lanzino der Zeitlosigkeit der Geschichte nach dem Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ durchaus auch einen sehr vom Zeitgeist genährten Duktus angedeihen lässt. Es wird Tablets, Videospiele oder auch eine Art Rap geben. Aber behutsam eingeflochten in diese Produktion der Jungen Oper am Rhein.

Doch skizzieren wir kurz die Geschichte, die mit abwechslungsreichem, musiktheatralischem und melodramatischem Rahmen versehen ist. Eines Tages angelt Jakob einen verzauberten Fisch – dieser wird übrigens mittels Bildschirmen am Bühnenrand sichtbar. Der Fisch bittet ihn, ihn wieder frei zu lassen und bietet im Gegenzug an, ihm auf wundersame Art Wünsche zu erfüllen. Jakob ist ganz bescheiden und wünscht sich Schuhe. Doch als die Eltern dahinter kommen, dass diese Schuhe vom Zauberfisch herbeigewünscht wurden, wollen sie mehr. Schuhe, auch für sich, ein Bett, ein Haus. Dann kommt diese verflixte Unzufriedenheit. Es soll ein noch größeres Haus, schließlich Bedienstete, Urlaub vom Stress des Reichseins und am Ende die ganze Welt nur für die drei werden. Doch Sturm zieht mehr und mehr auf. Der sich in digitaler Form auf zwei Bildschirmen zeigende Fisch wird immer wieder von Interferenzen, Störbildern unterbrochen – er scheint sogar seine Farbe zu verlieren, ganz am Ende. Schließlich wünscht sich Jakob nur noch, dass alles so sei wie früher. Klimax, Zusammenbruch, Katharsis.

Amélie Saadia gelingt es durch perfekt abgestimmtes Spiel, alle Rollen, also auch Vater und Mutter, in der Fantasie des Publikums aufleben zu lassen. Ohnehin arbeitet man mit vielen  Andeutungen im reduziert offenen Bühnenbild (Emine Güner). Andeutungen mannigfaltiger Art finden sich aber auch in der Musik. Musikalisch wird durch ein großes Spektrum an Schlaginstrumenten (von Vibra- und Marimbaphon bis Muschelbecken etwa) mal Untermalung, mal rhythmische oder auch melodische Stütze für Gesang und Sprache geliefert. Dies kann sehr modern anmuten, auch aus der Stilsprache der „klassischen Oper“ schöpfen oder bisweilen an Brecht und Weill erinnern. Vielleicht mehr Theater mit Musik als Musiktheater, was aber auch an der auf das Spiel und das Sprechen fokussierten Verkörperung von Saadia liegen mochte.

Das eine Stunde dauernde Stück ist eine absolute Empfehlung für alle, die sich der Welt des Musiktheaters zunächst behutsam nähern wollen und eine Vorliebe für märchenhafte Stoffe mit gesellschaftskritischem Unterbau haben.

Viele Aufführungen sind ausverkauft. Karten gibt es noch für Mittwoch, 10. April (11 Uhr), 23. April (15 Uhr) und 25. April (15 Uhr). FFT Kammerspiele, Jahnstraße 3.