Musikkritik Igor Levit stellt die Musik ins Rampenlicht
Der Deutsch-Russe eröffnete seinen Beethoven-Zyklus in der Tonhalle.
Düsseldorf. Beethoven lebt. Diesen Satz will man ausrufen nach dem Eröffnungsabend des Beethoven-Zyklus mit dem Pianisten Igor Levit. Der in Hannover aufgewachsene Russe spielte in der gut besuchten Tonhalle vier Klaviersonaten des Spätklassikers auf unglaublich einfühlsame, aber auch energische Weise.
Levit spielt sehr notengetreu. Er kann es sich leisten, denn er entdeckt in den Werken so viel Fantastisches, dass er es nicht nötig hat — wie manche seiner Kollegen —, irgendetwas aus eigenen Fantasiewelten hineinzuinterpretieren. Der 27-Jährige glättet auch nichts, sondern modelliert Beethovens gelegentliche Schroffheiten deutlich heraus.
Beispielsweise gibt es im Trauermarsch der frühen As-Dur-Sonate ein paar Fortissimo-Akzente, die aus dem größtenteils leisen, getragenen Satz irritierend hervorstechen. Levit relativiert die Dynamik nicht, sondern verleiht ihr den Ausdruck des Resoluten, was ja zu Beethovens feuerköpfigem Charakter passt.
Aber auch sanfte Stellen entwickeln unter Levits Händen eine starke Aussagekraft. Beethoven hatte ja auch seine empfindsamen, verletzlichen und sehnsüchtigen Seiten.
Der junge Pianist nimmt den Komponisten, dessen 32 Klaviersonaten er bis zum Sommer an acht Abenden spielen will, äußerst ernst. Das künstlerisch Wertvolle daran ist, dass er mithin nicht sich selbst ins Rampenlicht stellt, sondern die Musik. Levit gewinnt an Profil, indem er Beethoven schärft.
Auch im größten der vier Werke des Abends, der so genannten Waldstein-Sonate, trifft Levit beim Spielen mitten ins Schwarze, immer und immer wieder, Satz für Satz. Bereits in der Exposition wählt er genau das richtige Tempo, um den etwas motorisch wirkenden Akkord-Wiederholungen den runden Lauf zu verleihen. Es schlurft nicht zu langsam wie bei Claudio Arrau, rattert aber auch nicht wie ein Maschinengewehr wie bei Friedrich Gulda.
Im Finale der Waldstein-Sonate arbeitet Levit das Freudenvolle und Festliche heraus und vor allem die sich steigernde Euphorie. Den Anfang spielt er verhalten, dass er wirkt wie eine leicht verschleierte Morgendämmerung, um dann den Hauptteil raketenartig hervor schießen zu lassen. Beim Prestissimo ganz am Schluss wagt sich Levit in höchste Tempo-Regionen vor, ohne aus der Kurve zu fliegen.
Derweil vernachlässigte Levit an dem Abend nichts. Die ganz frühe Sonate f-Moll op. 2 Nr. 1, die in mancher Klavierstunde von Amateuren malträtiert und von Profis zuweilen als Lockerungsübung missbraucht wird, klang bei Levit wie eine Neuentdeckung. Für den herzlichen und starken Schlussapplaus mit zahlreichen Bravo-Rufen bedankte sich Levit mit einer witzigen Zugabe: der Humoreske des Russen Rodion Schtschedrin. Auf die sieben folgenden Abende kann man sich schon freuen.