Interview Julia Engelmann: „Es geht darum, dass ich ich bin“

Poetry-Slammerin Julia Engelmann stellt in der Tonhalle ihr neues Programm „Eines Tages, Baby — Upgrade“ vor.

Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Frau Engelmann, Sie gastieren in der Tonhalle. Kein gewöhnlicher Ort für eine Poetry-Slammerin. . .

Julia Engelmann: Ich kenne die Tonhalle nur von außen und habe von vielen gehört, dass sie sehr sehr schön ist. Die Vorfreude ist maximal.

Durch Ihren Youtube-Erfolg mit „Eines Tages, Baby“ — ein Auftritt, der mehr als neun Millionen Mal im Netz geklickt wurde, haben Sie die Ochsentour vieler Künstler durch kleine Locations übersprungen. . .

Engelmann: Ich bin ja auch auf Poetry Slams vor 50 Leuten aufgetreten. Es gibt inzwischen Slams, die große Hallen und Festivals bespielen. Da schauen schon mal 5000 Leute zu.

Die Bekanntheit kam bei Ihnen aber schon ziemlich plötzlich.

Engelmann: Ich bin wahnsinnig glücklich und dankbar dafür. Und es war überhaupt nicht auf meinem Radar, wie das gelaufen ist. Ich habe fünf Jahre Poetry Slams gemacht und mit Leidenschaft dafür geschrieben. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass das mal mein Beruf sein könnte. Was die Tour angeht, hat sich das schon organisch entwickelt. Ich habe angefangen mit einer Lesung für eine Buchhandlung vor zwei Jahren. Da kamen dann 100 Leute, dann 200.

Ihr Programm nennt sich „Eines Tages, Baby — Upgrade“. Was ist neu?

Engelmann: Mein drittes Buch erscheint vor Beginn der Tour und ich trage neue Gedichte vor.

Wovon handeln Ihre neue Texte?

Engelmann: Das, was mich im letzten Jahr beschäftigt hat. Also die Frage, ob ich mit 24 schon erwachsen bin oder sein müsste. Wie gehe ich damit um, dass ich in meinem Kopf allein bin? Was ist Zuhause? Ist Glücklich-Sein eine Einstellungssache? Zeit ist ein großes Thema für mich.

In „Stille Wasser“ sagen Sie: Es geht darum, dass ich echt bin. Was bedeutet das für Sie?

Engelmann: Genau genommen heißt die Stelle: „dass ich ich bin“. Aber das ist gar nicht so anders. Mir ist wichtig herauszufinden, wer ich bin, und das auch nach außen zu zeigen.

Warum spricht es neun Millionen Menschen an zu erfahren, wie es Ihnen geht?

Engelmann: Das weiß ich nicht. Viele sagen mir, dass es Ihnen ähnlich geht und dass sie es nicht so hätten sagen können. Es macht sie froh, dass es mal jemand ausspricht. An anderen spricht mich an, wenn jemand ehrlich ist. Ich sehe so viele Bemühungen bei den Menschen, richtig und perfekt rüber zu kommen. Da ist es wie eine kollektive Erleichterung, wenn man darüber spricht, was einen ausmacht und beschäftigt.

Ist die Selbstdarstellung in den sozialen Medien den Menschen zu viel?

Engelmann: Es gibt ein großes Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Und das gab es auch schon vor dem Internet. Wenn wir mal laut denken, dann merken wir, dass eine große Nähe da ist.

Und wie schützen Sie sich vor zu viel Nähe?

Engelmann: Nicht alles, was ich denke, schreibe ich auf. Nicht alles, was ich schreibe, sage ich auch. Mein Alltag ist ja komplett normal. Ich habe ganz viele Tage, an denen mich keiner beklatscht.

Wie läuft es denn mit dem Psychologie-Studium?

Engelmann: Das habe ich ad acta gelegt. Schreiben, Dichten und Auftreten, das ist im Moment meine Sache.