Ausstellung Die Nacht schläft nie im Düsseldorfer Kai 10
Düsseldorf · „Im Licht der Nacht“, eine wundersame Schau über Nachteulen, Transparentbilder und Papierschnitte.
Ob Jugendliche, die am Wochenende in die Düsseldorfer Altstadt einfallen, die Nacht als einen „Sehnsuchtsort“ erleben, ist fraglich. Doch Julia Höner, die künstlerische Leiterin von Kai 10, ist davon überzeugt, dass dies so ist. „Nach der Großstadtnacht sehnen sich doch alle, weil sie Abenteuer, Glück und einen kurzzeitigen Moment der Lebendigkeit abseits von der Tristesse des Alltags verspricht“, sagt sie. Dieser These widmet sie ihre Ausstellung. „Die Stadt schläft nie“. Erstmals entstand dabei eine Kooperation mit dem Marta Herford, wo „Vom Leben im Halbdunkel“ präsentiert wird.
„Was leuchtet, siegt“, soll der französische Philosoph Gaston Bachelard gesagt haben. Es ist zugleich die These der Werbeleute, die mit ihrem Stadtmarketing den öffentlichen Raum besetzen und der Phantasie keinen Platz mehr gönnen. Das künstliche Licht leuchtet in jede Ecke und kontrolliert jedermann. Mit seiner Entwicklung entstand aber auch die Bel Epoque, die Kunst und das Theater im 19. Jahrhundert. Für Julia Höner bringt es Sicherheit und Überwachung zugleich. Unter der Metapher des Lichts hat sie eine bunte Ausstellung komponiert.
Das Beste, weil am wenigsten bekannt, sind die Transparentbilder aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die der verstorbene Filmemacher Werner Nekes in einer fulminanten Sammlung hinterlassen hat. Sie reicht von der Camera Obscura bis zum Diorama und müsste vom Filmmuseum als Ganzes gekauft werden, damit sich das Kulturinstitut zu einem ernst zu nehmenden Museum mausert. Im Kai 10 sind transparente Bilder zu sehen, deren Wirkung darin liegt, dass das Licht zwischen Auf- und Durchsicht wechselt. Die durchsichtigen Folien sind von vorn und von hinten bemalt oder bedruckt. Das Licht ist so geschaltet, dass es wechselweise mal die Vorderseite und mal die Rückseite beleuchtet. Was früher mit Fackeln und Kerzen bewerkstelligt wurde, nämlich Tag und Nacht auf den Bildern zu suggerieren, geschieht heute durch eine Zeitschaltung.
Früher waren die Menschen anspruchslos. Ihnen genügte ein durchlöcherter Papierdruck für das Nachtbild, so dass kleine Lichter plötzlich durch die Szenen geisterten. Die Szenen konnten zugleich kippen, von der Idylle am Tag in das Dunkle oder Böse in der Nacht. Der Mensch früherer Zeiten hatte sein kleines, hübsches Spektakel mit Licht und Schatten, das er den Kindern und Enkeln auch zu Hause vorführen konnte.
Der Mann an der Laterne mit dem Glimmstengel aus LED-Licht
Claus Richter, dieser wunderbare Märchenerzähler der Gegenwart, hat sich das Staunen bewahrt. Der Ausgangspunkt seiner Kunst sind die grotesken Figuren aus dem Gesellschaftsroman des 19. Jahrhunderts, die er schnitzt und klebt, auf dass sie die Nacht bevölkern. Es sind Eckensteher, die an der Laterne ihren Halt finden und aus einem Metallrohr ihr LED-Licht wie einen Glimmstengel in den Raum schießen. Der Kölner Richter, der mit dem Düsseldorfer Klaus Richter den Sinn für Humor teilt, baut aus Holz und Pappe Gliederpuppen, stellt zänkische Weiber an den Eingang und benutzt wie anno dazumal Flash-Light am Boden, der die Gesichter wie auf dem historischen Theater gespenstisch verzerrt. Der erste Raum der Ausstellung ist ein grandioses Präludium.
Im Seitenkabinett erzählt Andreas Bunte im 16-Millimeter-Film die Geschichte der Elektrifizierung anhand von fiktiven Anekdoten, Texttafeln und Bildern wie dem Elektrizitätspavillon von 1900 auf der Pariser Weltausstellung. Zur Eröffnung dieses Palastes erklärte der französische Handelsminister Alexandre Millerand: „Die Elektrizität ist die Beherrscherin des ganzen Erdballs geworden, sie befreit die Menschheit aus der Knechtschaft der Finsternis. Das Böse selbst ist vor dem siegreichen Fortschritt des Menschengeistes zurückgewichen.“ Das Volk war begeistert, die spektakuläre Technik galt als Wunderwerk.
Über die technische Seite der Lichtthematik reichen die Werke von Matthias Lahme und Norbert Schwontkowski hinaus. Lahme hat sich bei der Herstellung seiner großformatigen Papierschnitte eine Sehnenscheidenentzündung zugezogen, denn mit seinem Cuttermesser macht er die Nacht zum Tag, das Feste zum Durchlässigen, das Gewichtige zum Leichten. Überall, wo es nun hell auf seinen Papierresten ist, sieht man durch die frei geschnittenen Flächen hindurch auf die weiße Wand. Dem Betrachter obliegt die Aufgabe, zwischen den dunklen Papierstegen nicht nur die bunten Flächen zu bewundern, sondern auch zwischen Schatten und Papierstegen, zwischen Kreisen, Rauten und floralen Motiven nach individuellen Geschichten, Fratzen und Gespenstern zu suchen.
In den 1920er Jahren entwickelte sich eine spezielle Design-Kultur für Clubs und Diskotheken, die zu neuen Lampen und Lichtkörpern führte, wie sie Alona Rodeh in ihren architektonischen Leuchtkörpern weiterentwickelt. Diese Clubszene glossiert das Duo „Fort“ (Jenny Kropp und Alberta Niemann). Es inszeniert den berühmten Club Berghain, allerdings für Kinder, die zu dumpfen Technobeats in Zeitlupentempo tanzen und dabei die Szenen der Erwachsenen nachahmen. Das flackernde Licht, in dem die Kindsgesichter auftauchen, spiegelt sich auf dem metallischen Fußboden, den der Betrachter in der Filmkabine betreten darf. Vor der metallisch glänzenden Tür zu diesem Raum hat das Duo ein Stillleben aus angeknabberter Eistüte, Zigarettenkippe und zerknautschtem Silberpapier auf einen grauen Verteilerkasten der Post gelegt. Diese flüchtigen Konsumreste würden im realen Leben die Nacht nicht überleben, weil am frühen Morgen die Müllabfuhr aktiv wird.
Humorige Schlaglichter setzen Norbert Schwontkowski mit einer Laterne, die sich im Dämmerlicht im Tete à Tete zum Regenschirm beugt, und Ann Lislegaard mit der Animation einer Nachteule, die mit ihren verzerrten Tönen den Ausstellungsraum durchdringt. Tobias Zielony schließlich porträtiert Jugendliche aus der Techno-Szene in Riga, die sich mit Schminke, Tattoos und Piercings eine Identität jenseits der Norm geben.
Info: Kaistraße 10, bis 9. Februar, Dienstag bis Sonntag 11-17 Uhr.