Kleinkunst/Rainald Grebe: Es regiert der Schwafelhuber

Rainald Grebe zeigt dem Publikum im Zakk mit seinem Programm „1968“, dass nur Selberdenken hilft. Recht hat er.

Düsseldorf. "1968" ist zwar der Titel des Programms, aber es wäre nicht so, dass Rainald Grebe, selbst Jahrgang ’71, sich mit jenem vielfach gescholtenen wie auch verklärten Jahrgang tatsächlich eingehend beschäftigen würde. Wie auch in seinen anderen Songs ist der zur Schlagzeile verkürzte Umgang mit Geschichte und Gegenwart der Anlass, die Götzenverehrung der knackigen Parole für Millionen.

Nichts hat mehr Inhalt, Substanz oder den Mut zur Hintersinnigkeit. Alles weicht einem gleichgeschalteten Massenwahn, in dem stumpf nachgeplappert wird, was man am Stammtisch mit halbem Ohr hört.

Im Berliner Prenzlauer Berg herrscht der Bionaden-Biedermeier. Single sein ist super, allein sein freilich nicht. Bundespräsidenten sind qua Amt Respektspersonen und nicht wegen ihrer Taten. Und die ’68er, die haben alles zerstört, was das wirtschaftswunderplüschige Nachkriegsdeutschland an einzigartigen Errungenschaften zu bieten hatte.

Grebe nimmt keine Position ein, wenn er diese Phrasen in seinen Vorträgen wie Tourette-Anfälle herauspresst. Er will nur zeigen, dass der Mensch einen Hang hat, alles zu verteufeln, nichts zu hinterfragen und sich mit gefährlichem Achtelwissen ein stimmiges Bild zu zimmern, mit dem er dann natürlich auch nicht hinter dem Berg hält.

"1968" ist nur der Beginn von Grebes kulturgeschichtlicher Reise durch 40 Jahre Rede und Gegenrede, Dialektik und PR. Die Analyse wird zwischen Worthülsen zerrieben, es regiert der Schwafelhuber.

Gleich zu Beginn sitzt einer seiner beiden Sidekicks von der Kapelle der Versöhnung am Keyboard und spielt über vorgegebene Tastenbelegung stoisch Werbeslogans ab. Hintereinander gespult merkt man, wie wenig Sinn die vielen wohlfeilen Worte ergeben. Trotzdem kennt man sie alle auswendig, die Waschmittelsprüche und Kaugummianpreisungen.

Beinahe wie ein Happening wirkt das, und auch später könnte so manches auf der Bühne einen Unbeteiligten, der nur Fragmente des Programms erhascht, befremden: Ballonseide, die sich zu einem Hasen aufpumpt, Baströckchen aus Gardinenfäden, psychedelisch ausgeleuchtete Balztänze und übergroße Afroperücken. Davon sollte man sich allerdings nicht ablenken lassen. Und man merkt, wie wichtig das gesprochene Wort plötzlich ist, wenn die Inszenierung einen allein lässt.

Inmitten dieses Mummenschanzes singt Grebe seine Lieder, pöbelt seine Mitmusiker an und legt mit Late-Night-Talker-Geste deren Schwächen offen. Gut verdauliche Comedy ist das schon lange nicht mehr. Im Gegenteil: Es sind genauestens ausgeklügelte Planspiele, mit denen der 37-Jährige seinem Publikum zeigt, dass nur Selberdenken vor dem Untergang rettet.

Der Bundespräsident fragt sich immer wieder, wo denn nun die Fähre sei, die es zu taufen gelte. 30-jährige Pärchen freuen sich ’nen Ast, ihre Wohnung mit Ikea eingerichtet zu haben, ohne dass es nach Ikea aussieht. Und die Jugend der 90er wundert sich, außer den Spice Girls und Tamagotchis nichts zum Trend gemacht zu haben, an das man sich noch erinnern würde. Leben mit dem Mainstream, ohne sich zu ihm zu bekennen - das ist die Krankheit, die Grebe diagnostiziert.

Mit dieser intelligenten und brüllkomischen Songrevue ist der Kölner zurzeit einzigartig im deutschsprachigen Kleinkunstbereich. Nicht nur, dass er sich traut, Texte mit Botschaft zu machen. Seine Songs sind dazu auch noch richtig gut durchdachte Pop-Songs. Zusammengeklaut, sicher. Aber auch das gehört zum Konzept, weil das Zitat nur ein Beleg für Beliebigkeit und mangelnde Kreativität ist. Grebe muss sich diesen Schuh nicht anziehen. Sein Hirn funktioniert noch. Und er setzt es ein!