Musiktheater: Schrilles Liebesgemetzel der Götter
Premiere von Hans Werner Henzes „Phaedra“ an der Deutschen Oper am Rhein.
Düsseldorf. Ein Wechselbad der Empfindungen löst Hans Werner Henzes Oper "Phaedra" aus. Lyrische, zarte Momente schaffen eine meditative Atmosphäre. Doch spätestens im zweiten Akt weichen alle Sanftheiten einer kruden und schrillen Ästhetik zwischen Frankensteins Operationssaal und Rotlicht-Milieu.
Die Regisseurin Sabine Hartmannshenn verschärft in ihrer Inszenierung, die nun an der Deutschen Oper am Rhein in Duisburg Premiere hatte, alle in dem Stück angelegten Kontraste. Vor allem unterscheiden sich die beiden Akte in ihrer Charakteristik - wirkt der eine noch mythologisch überhöht, setzt der andere in einer banalen Unterwelt auf.
Da kommen etwa Phaedra (Ursula Hesse von den Steinen) und Aphrodite (Anke Krabbe) auf einem Sessellift hinuntergefahren, nahezu gespenstisch aufgestylt mit Tüll und Flitter. Der geschundene Hippolyt (Jussi Myllys) liegt unterdessen zu seiner eigenen Sicherheit gefangen in einem Gitterbettchen.
Seine wahre Geliebte, die Jagdgöttin Artemis (Vasily Khoroshev), eilt im blutbeschmierten Bärenfell einher und versucht den von Phaedra begehrten Jüngling zu schützen. Gerade noch hatte sie den Schwerstverletzten mit allerhand Ersatzteilen wieder zusammengeflickt und die abgestorbenen Gliedmaßen mit Schwung in die Ecke geworfen.
Hippolyt, verwandelt zu einem blonden Püppchen zwischen Dressman und Toy-Boy, ist erneut zum Rückzug gezwungen und erlebt schließlich eine zweite Metamorphose. Er kehrt vollendet zurück als Waldgott. Im olivgrünen Gummianzug wirkt er etwas wie das Ungeheurer aus dem Amazonas, und man weiß nicht recht, ob man nun amüsiert oder ergriffen zu sein hat.
So extrem, schräg, farbig und facettenreich auch das der griechischen Mythologie entlehnte Stück in dieser Inszenierung aufleuchtet, es bleibt seltsam undramatisch und indifferent. Die Figuren erlangen weder archaische Größe, noch ermöglichen sie eine persönliche Identifikation. Das Ganze wirkt wie unendlich weit weg und berührt kaum. Dabei geht es in dem Mythos ums pralle Leben, um Liebe, Leidenschaft, Eifersucht, Gewalt und den Kampf gegen die Vergänglichkeit. Doch diese Melange aus Drama und Komödie hat etwas von kaltem Kaffee.
Hans Werner Henzes Musik auf den Text von Christian Lehnert, eine moderne Adaption der antiken Tragödie, adelt das Szenische geradezu. Der letzte Altmeister der musikalischen Moderne findet zu einer ausdrucksvollen, aber niemals aufdringlichen Tonsprache zwischen Neuer Musik und Spätromantik. Die Musik für Kammerorchester und Sänger wirkt weitaus introvertierter als der Text, der mit Sätzen wie "Komm, kleines Leckerchen" zuweilen aus dem ansonsten durchaus poetisch gehaltenen Sprachstil ausschert.
Ein besonderes Lob gebührt den 23 für den kammermusikalischen Orchestersatz ausgewählten Mitgliedern der Duisburger Philharmoniker und ihrem Kapellmeister Wen-Pin Chien. Der aus Taiwan stammende Dirigent ist der Rheinopern-Spezialist für Neue Musik. Und einmal mehr stellte er seinen analytischen Leitungsstil unter Beweis. Bei der Duisburger Premiere gab es lediglich Höflichkeitsapplaus, aber gespickt mit einzelnen, unermüdlichen Bravorufen.
Musik: vier von fünf Punkten
Inszenierung: zwei von fünf Punkten