Tanzhaus legt Talentförderung auf Eis

Nach zehn Jahren gibt es das Junge Ensemble nicht mehr. Die Politik im Haus ist schuld, meinen Eltern und Schüler.

Düsseldorf. Böse ist keiner der Jugendlichen auf Ulla Geiges, enttäuscht schon. Und empört, weil das Tanzhaus ihre Ulla hat ziehen lassen.

Die Tänzerin und Choreografin hat vor elf Jahren das Junge Ensemble am Tanzhaus (J.E.T.) gegründet und seither ständig weiterentwickelt, eine Leistungsschmiede für junge Talente, die Ballett, vor allem aber moderne Tanztechniken erlernen und die ein Aushängeschild für das Tanzhaus hätten werden können.

Weil jedoch die Wertschätzung des Hauses nicht einmal für feste Probezeiten, ein sicheres Budget und eine Abschlussparty gereicht haben soll, entschied Ulla Geiges, ihre Arbeit am Tanzhaus einzustellen.

Für die Jugendlichen, die noch bis vor kurzem zwei Mal in der Woche trainierten, ist Ulla Geiges mehr als nur eine Lehrerin gewesen. „Sie hat uns geprägt“, sagt David Cham. „Ich bin mit ihr erwachsen geworden.“ Vor sieben Jahren hat der 18-jährige Schüler der Hulda-Pankok-Gesamtschule bei J.E.T. angefangen und dort gelernt, an sein Talent zu glauben und dass es sich lohnt, sich anzustrengen, wenn er etwas erreichen will.

Dass er mit derselben Power auch ohne Ulla Geiges an seiner Karriere als Tänzer weiterarbeitet, ist nicht nur für ihn schwer vorstellbar. „Ich habe gerade mein Abitur gemacht und mich für die Aufnahmeprüfung im Fach Musical an der Folkwang-Hochschule im nächsten Jahr angemeldet“, sagt Markus Fetter. „Jetzt muss ich andere Kurse finden. Aber das ist nicht das Gleiche wie der Unterricht bei Ulla.“

Besonders hart trifft es die jüngeren Ensemble-Mitglieder, deren Begabung noch reift. „Ich möchte eine Musicalschule besuchen“, sagt die 15-jährige Lea Erdwiens, „und habe jetzt Angst, dass ich mein Niveau nicht halten kann. Ballettkurse gibt es ja viele, aber moderne Tanztechnik für Jugendliche nur selten.“

Als die Eltern erfuhren, dass J.E.T. die Auflösung droht, waren sie entsetzt. „Für meine Tochter waren die drei Jahre mit Frau Geiges immens wichtig“, sagt Anjou Dutta-Roy, Mutter einer 13-jährigen Tochter. „Joya hat sich unglaublich entwickelt. Ab Sommer besucht sie das Tanz-Gymnasium in Essen-Werden.“

Andere Eltern schrieben wegen Geiges’ Kündigung an Tanzhaus-Chef Bertram Müller: „Ihre Entscheidung scheint vor allem motiviert durch die jahrelange, extrem mühsame Auseinandersetzung mit dem Haus in organisatorischer sowie finanzieller Hinsicht“, heißt es in dem Brief. In einem Antwortschreiben im April versprach Müller: J.E.T. „ist und bleibt für mich eines der wichtigsten Projekte des Tanzhaus NRW, welches wir weiterführen wollen und werden“.

Tatsächlich jedoch ist bislang kein Nachfolger gefunden. Zwar gab es nach WZ-Informationen im Mai dieses Jahres ein Gespräch zwischen Müller und einem möglichen Nachfolger, dem Tänzer Paulo Fossa. Dieser jedoch bestätigte auf Anfrage, seither nichts mehr vom Tanzhaus gehört zu haben. Das neue Semester aber beginnt schon in vier Wochen.

„Ich kann nicht definitiv sagen, wie und ob es weitergeht. Wir wissen ja nicht einmal, wie viele Kinder weitermachen wollen“, sagt Bertram Müller heute, drei Monate nach seinem Brief an die Eltern. Dies sei eine „weitreichende Entscheidung“, die über Amtszeit Amtzeit hinausgehe. Müller tritt im Dezember seinen Ruhestand an, die Leitung übernimmt dann Bettina Masuch.

Den Frust Ulla Geiges’ angesichts organisatorischer Mängel teile er, sagt Müller. „Wir platzen aus allen Nähten und können nicht allen Probesaalwünschen entsprechen.“ Er betont aber auch, es gebe kein Projekt, das so sehr unterstützt worden sei wie J.E.T. „Zehn- bis fünfzehntausend Euro gab es immer pro Jahr.“ Es imponiere ihm, dass Ulla Geiges sich um die Fortführung ihres Werks sorge, obwohl sie ja nun bald wegziehe, was ein weiterer Grund für ihren Rückzug sei.

Das allerdings bestreitet Geiges. „Ich wollte nie dauerhaft wegziehen und habe höchstens mal darüber nachgedacht, auch in Süddeutschland etwas anzubieten. Mich haben die schlechten Bedingungen gestört, die sich in all den Jahren nie geändert haben.“