Theater/FFT: Gefangen im System Gesellschaft
Zu Gast im FFT: Das Living Theatre ist eine Legende wie seine Inszenierung „The Brig“.
Düsseldorf. Gefangener Nr. 6 ist am Ende. Weinend bricht er zusammen und wird von den Wärtern schließlich in eine Zelle gesperrt. Und dann bringt der Gefangene mit einem Satz das gesamte System zum Wanken: "Ich bin nicht Nr. 6, ich heiße James Turner." Das Pochen auf Identität und auf das individuelle Leiden geht unmittelbar unter die Haut.
Kenneth Browns Stück "The Brig" in der Inszenierung des Living Theatre ist ein Klassiker. Es beschreibt das Innenleben eines Militärgefängnisses der US-Marines. Ein Tag im Leben von zehn Gefangenen. Ihre Doppelstockbetten stehen in einem Maschendrahtgeviert, um das vier Wärter patrouillieren.
Ein Gefangener wird mit Schlafentzug behandelt; einer in eine Tonne gesteckt; das Putzwasser landet immer zuerst im Gesicht der Inhaftierten; und alles, vom Zähneputzen bis zum Hofgang, muss in aberwitzigem Marschschritt absolviert werden. Es geht um Abrichtung, Disziplinierung, Entindividualisierung, Folter, Brutalität und die Leere des Gefängnisalltags.
Aber was kann uns eine Inszenierung von 1963 erzählen, was wir nicht schlimmer aus Guantánamo und Abu Graibh wissen? Die Begegnung mit "The Brig" in den FFT Kammerspielen ist zunächst eine Begegnung mit der Theatergeschichte. Das von Judith Malina und Julian Beck gegründete Living Theatre strebte nach einer Einheit von Leben und Theater. Keine artifiziellen Pirouetten also, sondern Unmittelbarkeit bezwingender Realismus sollten die Grenzen zwischen Kunst und Dasein verwischen.
Natürlich hat "The Brig" heute an Unmittelbarkeit verloren. Das, was einmal brutal wirkte, das Brüllen, der Laufschritt, die Schläge, ordnet sich heute zu einer Choreographie der Demütigung, zu Kunst. Doch genau da gewinnt das Stück neue Triftigkeit. Nicht nur entdeckt man in den sinnentleerten Wiederholungen und der Handlungslosigkeit des Stücks eine erstaunliche Nähe zu Autoren wie Beckett oder Ionesco.
Wenn die Wärter die Gefangenen ihre Kinder nennen, vom Gefängnis als "my house" (mein Haus) sprechen, stellt sich auch eine Verbindung zu Tim Etchells kürzlich im FFT zu sehenden Stück "That night follows day" her, in dem Kinder die Erziehungsgrundsätze Erwachsener wiederholen. Es geht um Formen gesellschaftlicher Zurichtung. Darin liegt bis heute auch die Aktualität von "The Brig" .