Wunderland ist gar nicht fern
Das Junge Schauspielhaus kreuzt die Komik von „Alice im Wunderland“ mit einer ernsten Botschaft. Hier ist das Absurde normal.
Düsseldorf. Was ist eigentlich absurder? Ein völlig überdrehtes Brüderpaar, das sich über alles zu lieben scheint und trotzdem unablässig aufeinander herumhackt - oder eine Königin und eine Herzogin, die über ein Stück Torte einen Krieg vom Zaun brechen. Man weiß es nicht so genau, und das ist ein gutes Zeichen dafür, dass man sich gerade in einer Inszenierung von "Alice im Wunderland" befindet, diesem skurril-komischen Kinderbuchklassiker. Am Samstag war Premiere im Jungen Schauspielhaus.
Genau wie im Original von Lewis Carroll ist Alice (Friederike Linke) von einem Kaninchen ins Wunderland gelockt worden, diese von eigenartigen Figuren bevölkerte Zauberwelt. Aber in der neuen Version von Katrin Lange hat das Kaninchen einen Auftrag für das kleine Mädchen: Es soll einen Krieg verhindern. Das ist ein ernster Auftrag für einen derart unernsten Stoff. Lange löst diesen Widerspruch auf, indem sie die Grenzen von Sinn und Sinnlosigkeit unablässig verschwimmen lässt. Der ideale Ort dafür ist Wunderland. Da sind zum Beispiel Twiedel Dick und Twiedel Doof, zwei hyperaktive Brüder, die sich vor lauter Liebe ständig piesacken.
Oder Humpty Dumpty, ein kleiner weißer Rundling, selbstherrlich und unbeherrscht und doch voller Angst und zerbrechlich wie ein Ei. Die eitle und machtbesessene Königin, die Herzogin, deren größte Sorge ihre Garderobe ist. Eine griesgräme Schildkröte, die will, dass sich nichts verändert, solange nur die Zeit vergeht. Da zeigen sich all die menschlichen Abgründe von der Habgier bis zur Gleichgültigkeit, die von dem großartigen Ensemble der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Im ständigen Wechsel von Tanz, Gesang, Pantomime und Dialog rasen die Figuren mit Alice durch ein Wechselbad von Lachen und Verzweiflung, Kopfschütteln und Zuneigung. Vor allem Bastian Sierich ist als Twiedel Dick und weißer Ritter eine geniale Mischung aus Don Quijote und Buster Keaton.
Großer Krieg und kleine Streitereien, echte Kämpfe und pantomimische Kampfparodien: Das Absurde ist normal in diesem Wunderland. Aber wie absurd ist eigentlich das, was wir für normal halten? Zu Beginn ist Alice auf einem Kindergeburtstag und möchte ihrem Freund ein Gedicht aufsagen. Aber die andern Kinder schreien dazwischen, sie wollen Fernsehen und Torte. Wie die Königin im Wunderland.
Die Inszenierung von Renat Safiullin spielt sich auf einer schwarzen Bühne ab, die mit wenigen Requisiten auskommt und dafür die Kostüme umso besser zur Geltung bringt. Am Rande der Bühne kann man Mathias Haus dabei beobachten, wie er zwischen Klavier, Vibraphon und allerlei geräuschmachenden Utensilien hin- und herwuselt, immer wieder unterstützt von Teilen der Schauspielerschaft, die zwischen ihren Auftritten zu Rhythmusinstrumenten oder in die Tasten greifen und so dem Stück seinen mal schwermütigen, mal geheimnisvollen Soundtrack geben.
Alice fühlt sich zuerst einsam und verloren in dieser unbegreiflichen Welt, bis sie langsam begreift, dass sie eingreifen muss. Sie trifft den weißen Ritter, einen liebenswerten Einzelgänger, der einen sperrigen Bienenkorb mit sich herumschleppt - für den Fall, dass ihm einmal ein Bienenschwarm begegnet - und ähnlich praktische Gegenstände. Ihr Zusammentreffen gipfelt in einem wunderbar verliebten Tanzduett. Make love, not war!
Darsteller: nnnnn Musik: nnnnn Kostüme: nnnnn